Richard Wagner: “Erlösung dem Erlöser!” – ein Thronsaal ohne Thron

Am 25. Juli ist war es wieder so weit. Um 18 Uhr wurde zur Eröffnung der Bayreuther Festspiele “Der fliegende Holländer” aufgeführt. Auch in diesem Jahr sind die Wagnerianer wieder nach Bayreuth gepilgert; ein Besuch ist mehr als ein Erlebnis, denn das Festspielhaus wurde nach den Entwürfen von Richard Wagner erbaut – eine akustische Meisterleistung, nirgendwo sonst klingen die Opern so fantastisch. – Ein Denkmal für die Opern von Richard Wagner. Das gesamte Wirken von Wagner ist untrennbar mit seinem Freund und seinem größten Unterstützer König Ludwig II. verbunden. Und dieser war es, der für Wagner ein zweites großen Denkmal errichten ließ: Schloss Neuschwanstein.

Am Anfang stand der Tod

Die Verbindung zwischen diesem Schloss und Richard Wagner ist engmaschig geknüpft. Beim Betrachten der Innenräume sticht dieser Wagner-Bezug deutlich ins Auge. Für alle Fans von König Ludwig sticht die Tatsache ins Herz, dass der tragische Teil der Geschichte rund um den König hier im Schloss seinen Anfang fand. Es geschah vom 11. auf dem 12. Juni 1886. Spät in der Nacht erreichte eine Delegation unter der Führung von Medizinrat Dr. von Gudden das Schloss, um den König – nach der am 9. Juni erfolgten Entmündigung – festzusetzen und um ihn in Gewahrsam zu nehmen. Am nächsten Morgen verließ diese Abordnung in Begleitung des Königs Neuschwanstein. Es vergingen keine weiteren 24 Stunden, da fand er seinen Tod im Starnberger See. Dieser 13. Juni, der finale Tag im Leben des Königs, lässt Raum für Spekulationen offen. Für gläubige Menschen steht der Tod für einen Neuanfang. So auch hier, denn der Tod ist eng mit der Entstehung vom Schloss Neuschwanstein verbunden. Tristan und Isolde: In keiner anderen Wagner-Oper stirbt es sich so langsam und theatralisch. Diese Oper war es, die den Bau von Neuschwanstein auslöste. Dem jungen König zeigte sich beim Besuch am En-de des 1. Aktes das Schloss von König Markes und in diesem historischen Moment erfolgte die Grundsteinlegung vom Schloss im Geist von Ludwig II.

Das Hintergrundrauschen – hinterm Schloss

Das Vorhaben nahm weiter Gestalt an – es Tannhäuserte. Alsdann reisten der Architekt und Hofbaudirektor Eduard von Riedel mit seinem Gefolge nach Eisenach zur Wartburg. Ziel dieser Exkursion war der berühmte Sängersaal, um Ideen für die Architekturentwürfe zu sammeln. Dessen Nachbau bildet heute das Zentrum von Neuschwanstein. Dieser Saal erinnert an die alte Tannhauser-Ballade mit dem zu-gehörigen Sängerkrieg. Auf dieser Ballade aufbauend komponierte Wagner die Oper Tannhäuser. Man kann jetzt durchaus behaupten, dass Neuschwanstein nur wegen dieser Oper und Tristan und Isolde erbaut wurde. Der König und Wagner, sie waren sich zeitlebens nah. Ohne Ludwig hätte es die Wagner-Opern nicht gegeben, denn ohne die langjährige finanzielle Unterstützung seitens des Königs wäre Wagner das Komponieren sehr viel schwerer möglich gewesen. Und ohne diese Opern würde es heute kein Neuschwanstein geben. Diese Konstellation: König, Wagner und die Opern bildeten eine “Dreifaltigkeit”, die für uns das heutige Schloss entstehen ließ. Eine Bereicherung in Form von Architektur, die uns an das geistige Erbe von Tradition und Kultur erinnert.

Sängersaal, Tannhäuser – die Frage nach dem Sinn

Worum geht es? Um nichts Geringeres als um die Frage nach Erlösung – einer Erlösung durch die Liebe. Dieser Erlösergedanke zieht sich förmlich durch das gesamte Dasein von Richard Wagner und es war sein ewiges Thema, über das er oft nachdachte. Es gipfelte in der Oper Parsifal mit dem bekannten Schlussvers: “Erlösung dem Erlöser!” Kein Geringerer als Friedrich Nietzsche untermauert diesen besessenen Wagner-Erlösungs-Gedanken mit der Äußerung: “Wagner hat über nichts so tief wie über die Erlösung nachgedacht. Seine Oper ist die Oper der Erlösung.” Welche Gedanken der König durch die Wahl des Sängersaals als Zentrum für das Schloss hatte, kann nur spekuliert werden, aber vorstellbar ist, dass König Ludwig II., da er sehr gläubig war, ebenfalls nach Erlösung strebte.

Von der Fiktion zur Form

Nachdem die Planungsphase abgeschlossen war, folgte im Jahr 1869 der Bau. Am Anfang führte man das Schloss unter dem Namen Vorderhohenschwangau und erst ab dem 1. August 1886 benannte man es in Neuschwanstein um. Von außen betrachtet sticht nichts am Schloss ins Auge, das an Wagner erinnert. Aus dieser Perspektive zeigt sich ein Schloss im Stil der Spätromantik, dieser fand originär bis ins 13. Jahrhundert Verwendung – Neuschwanstein ist somit nur in diesem Stil nachgebaut.

Auf den Inhalt kommt es an

In fast jedem Raum findet man Richard Wagner. Die Opern-Themen sind auf unter-schiedlichster Art aufgegriffen und handwerklich eindrücklich realisiert worden. Der Sängersaal, der das Zentrum des Schlosses bildet, zeigt nicht die Helden und Heiligen, wie sein Vorbild in Eisenach, sondern die Figuren aus der Parsivalsage – siehe Parsifal-Oper von Wagner. Im Wohnzimmer sind viele Schwanenmotive zu bestaunen und diese gehen auf die Lohengrin-Oper von Wagner zurück. Sehenswert ist ferner der Thronsaal im byzantinischen Stil, der sich im 3. OG befindet. Das Gold und dessen Glanz in diesem Raum ist überaus eindrucksvoll. Einen Thron sucht man in diesem Raum jedoch vergeblich – Kostenproblematik zur Bauzeit. Für den sakralen Bezug und auf expliziten Wunsch des Königs wurde der Thronsaal dem Schauplatz der Gralshalle aus Parzival nachempfunden, auch hier Wagnert es. – Parsifal gilt als die perfekte Oper. Selbst der französische Komponist Claude Debussy äußerte sich zu Parsifal wie folg: “Man hört da Orchesterklänge, die einmalig sind und ungeahnt, edel und voller Kraft. Das ist eines der schönsten Klangdenkmäler, die zum unvergänglichen Ruhm der Musik errichtet worden sind.” (Siehe Claude Debussy: Monsieur Croche – sämtliche Schriften und Interviews). Eigentlich müsste vor Ort im Thronsaal Parsifal Akt 3: “Höchsten heiles Wunder!” – “Erlösung dem Erlöser!” gespielt werden; in diesem musikalischen Augenblick könnte man dem König und Wagner nicht viel näher sein.

Und jetzt: Auf zum Schloss! Ach ja, Richard Wagner hat das Schloss Neuschwan-stein zu Lebzeiten nie persönlich betreten.

SN