Der Freytag: Die Welt zu Gast bei Freunden? Wir halten den Ball flach!

Die Fußball-Weltmeisterschaft begann am 20. November; Deutschland zeigte Haltung vor dem Spiel gegen Japan und hat verloren; zwei zu eins; damit wäre dann alles Wesentliche erzählt.

Meine Woche war, um es gelinde auszudrücken: bescheiden! Und für die Deutschen – für die deutschen Fußballfans – galt dies wahrscheinlich ebenso. Seit 2014 bin ich kein Fan der WM mehr. – Das war aber nicht immer so. Mein Bruch erfolgte irgendwann zwischen 2006 und 2014. An 2006 kann ich mich noch gut erinnern; ich schrieb meine Diplomarbeit in den letzten Zügen und parallel zum Schreibstress war ich ein fleißiger WM-Schauer und ein beherzter Fan; die Spiele waren eine willkommene Abwechslung. Eifrig feuerte ich unsere Nationalmannschaft an; jedes Spiel wurde gemeinsam mit Freunden geschaut; es gab Bier und Gegrilltes und jedes Spiel war noch ein Ereignis, auf das ich erwartungsvoll hinfieberte. Auch wenn im Finale Italien und Frankreich aufeinader trafen und Deutschland “nur” den 3. Platz errang, sind es für mich die Zeiten gewesen, als der Ball politisch flach gehalten wurde und der Sport zentral im Mittelpunkt stand. Irgendwann nach dieser WM 2006 wurde mir der Fußball und die WM immer fremder, bis hin zum aktuellen Status: interessiert mich überhaupt nicht mehr.
Es wird fleißig alles Alte umbenannt; es wird politisiert und es ist eine unausgesprochene Plicht, Haltung zum Zeitgeist zu zeigen. Gleichzeitig wirkt all dies, was mit der Fußball-WM in Verbindung steht, verkrampfter, unechter und die Lockerheit aus der Zeit von Mario Basler ist endgültig begraben. Mir kommt es so vor, als hätte man völlig vergessen, worum es eigentlich geht: Sport, Fußball und letztendlich um Vergnügen für die Spieler und für die Zuschauer

So unrecht hat Thomas Müller mit dem, was er die Tage auf Instagram schrieb, nicht:

“Morgen gehts endlich los mit dem ersten Gruppenspiel. Wir haben uns akribisch auf diesen Moment vorbereitet und freuen uns, dass morgen der Ball rollt.

“Ich will außerdem vor unserem ersten Spiel meinen Standpunkt klar machen und die Dinge, die in den letzten Tage und Wochen abseits des Platzes passiert sind, einordnen.

Die Unruhe rund um die Begebenheiten im Vorfeld des WM Turniers in Katar, das Verbot der One Love Binde und weitere befremdliche Aktionen und Äußerungen der FIFA beschäftigen uns Spieler und das gesamte Team. Der Standpunkt der FIFA, als auch die Art und Weise der Kommunikation zum Bindenverbot, ist für uns in keiner Weise zu verstehen.

Aufgrund der Entscheidung aller betroffenen Fußballverbände, die Binde bei den Spielen nicht zu tragen, stehen auch der DFB und wir Spieler in der Kritik. Ich kann die Kritik nachvollziehen und akzeptieren, teile diese Ansicht aber nicht!

Der DFB hat Stellung bezogen und seine Haltung gegen die FIFA deutlich zum Ausdruck gebracht. Der Verband und wir Spieler engagieren uns seit Jahren weit über den grünen Rasen hinaus. Viele Nationalspieler haben eigene Stiftungen oder unterstützen seit Jahren mit großem Einsatz unterschiedliche soziale Einrichtungen. Mit unserer Mannschafts-Stiftung haben wir diverse Initiativen nicht nur im Zusammenhang mit dem Turnier in Katar, sondern auch in ganz Deutschland auf den Weg gebracht.

Wer von uns Fußballern erwartet, dass wir unseren Pfad als Sportler komplett verlassen und unsere sportlichen Träume, für die wir ein Fußballerleben lang gearbeitet haben, aufgeben, um uns politisch noch deutlicher zu positionieren, der wird enttäuscht sein.

Wer die ganze Situation differenziert betrachten kann, der wird uns hoffentlich in den nächsten Wochen voll unterstützen und uns den Rücken stärken. Wir wollen euch zeigen, dass wir mit Teamgeist, Geschlossenheit und Fußballfinesse unsere deutsche Fußballnation begeistern können. Am besten schon morgen gegen Japan”

Der Ball rollt und jeder freut sich darauf? – Vielleicht. In den sozialen Netzwerken ging es im Nachgang zum Spiel richtig rund; das Gruppenfoto der DFB-Spieler beim Zuhalten der eigenen Münder erregte die Gemüter bei Twitter, Facebook und Co. Um was gings bei dieser Aktion? Die Elf hat auf das FIFA-Verbot der One-Love-Binde reagiert – sie hat Haltung gezeigt. Haltung zu zeigen finde ich gut; besonders dann, wenn es um Fragen wie: Pressefreiheit, Menschenrechte und dergleichen geht. Im Fall von Katar sehen wir jedoch einen hausgemachten Eiertanz. Es war im Vorfeld bereits lange und hinreichend bekannt, in welchem Umfeld man sich gesellschaftlich, politisch und religiös bewegt, wenn man dort eine WM austrägt; dementsprechend kritische Meldung gab es im Vorfeld en masse. Aus meiner Sicht ist es ein völliger Irrsinn, dass die WM in Katar ausgetragen wird. – Zum Beispiel war angedacht, dass alle WM-Stadien mit gigantischen Klimaanlagen heruntergekühlt werden sollten – der Energieverbrauch wäre enorm gewesen. Jetzt findet die WM im November statt und die Natur übernimmt die Klimatisierung; jedoch fallen die Spiele in die besinnliche Adventszeit und irgendwie mag sich in dieser Zeit auch keine WM-Stimmung entfalten; aber gut, ich bin auch schon lange raus aus dieser Nummer.

Haltung zeigen; aber wie? Es hätte viel früher Haltung gezeigt werden können. Richtig konsequent wäre es gewesen, wenn die DFB-Spieler lange im Vorfeld ihre Nichtteilnahme bekannt gegeben hätten; aus diesen und jenen Gründen – das wäre eine Haltung gewesen. Jetzt geht es um die Lächerlichkeiten vom Tragen einer Armbinde. Ein Leuchtfeuer für Menschenrechte hätte man entfachen können, wenn man abgesagt hätte. Hat man aber nicht und so geht es vor unser aller Augen weiter mit dem Eiertanz – mit und ohne Binden.

S.