Der Freytag: Die Macht der Möglichkeiten – Schreiben/Nichtschreiben

Schreiben/Nichtschreiben? – Die Macht der Möglichkeiten. Die Summe aller nicht geschriebenen Werke ist sicher deutlich höher als die Palette aller Veröffentlichungen. – Randnotiz: Das Nichtgeschriebene sind Texte, für die es nur eine Idee gab und das Niederschreiben dieser Gedanken ausblieb. Das mag jetzt Autoren und Schriftsteller motivieren: Es gibt viel, das verfasst werden kann.

Ein Gedankenspiel: Da es Materie gibt, nehmen wir jetzt an, dass auch die zugehörige Antimaterie auftritt. Wenn der absolute Dualismus in seiner vollendeten Teilchenform im Universum herrscht, so muss im dazugehörigen Spiegel-parallel-Universum eine Bibliothek mit all diesen Nicht-Veröffentlichungen existieren. Aber wir werden nie von der Existenz dieses Bücherbestands erfahren; denn selbst wenn es ihn geben sollte, so ist der Übertritt über die Schwelle in den Inversen-Weltraum unmöglich. Wir werden neutralisiert beim Wechsel in den Gegenkosmos – unsere Teilchenzusammensetzung ist genau entgegengesetzt zu dieser Antimaterie. Ein Blick in all diese zahlreichen und nicht veröffentlichten Bücher bleibt nur ein Wunschtraum von uns Schriftstellern.

Dieser Tage bin ich wieder in die Rolle eines Studenten geschlüpft – in diesem Teil des Universums, ganz real – und habe die letzte Poetikvorlesung im Sommersemester besucht. Titel der Vorlesung war: Schreiben/Nichtschreiben. Gleich zu Beginn des Kollegs war es mir unmöglich den Shakespeare-Gedanken »To be, or not to be …« zu unterdrücken. Schreiben/Nichtschreiben und ich dachte an Shakespeare und schrieb einen situativen Post aus dem Stegreif:

»Poetikprofessur – Vorlesung. Thema: Schreiben/Nichtschreiben. Dr. Daniela Danz. #UniBamberg. @uni_bamberg / @danieladanz_

Wieder Student; erneut in der Vorlesung. Thema: Schreiben/Nichtschreiben; und ich muss ständig an W. Shakespeare denken: »To be, or not to be …« – es Hamlet-et … Das Leben ist, atomar, den Fokus auf Entscheidungen gerichtet, bei essenziellen Fragestellungen auf Ja-Nein-Antworten reduzierbar; im Urknall war die Singularität; in der Vorlesung herrscht ein wirres Teilchengrummeln, Studenten sind geschwätzig; noch hat die Vorlesung nicht begonnen. Sprechen oder Nichtsprechen? Schweigen ist das Gebot; denn, wer hat wirklich etwas zu sagen? Ist Nichtschreiben Pflicht? Wer will‘s und kann‘s entscheiden? Niemand; der Mensch ist frei (»Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei«) – von Shakespeare über Schiller ende ich jetzt. – Nicht (mehr) schreiben.

#StefanNoir #DichterUndDenker #Poetikprofessur #PoetikVorlesung #UniVorlesung #Poetik«

Schreiben/Nichtschreiben! Eine essenzielle und sich wiederkehrende Fragestellung: Schreiben oder nicht? Nur frage ich mich, ob man selbst überhaupt diese Wahl hat? Wenn mein innerer Schreibdruck hochkommt, kann ich ihn kaum unterdrücken und muss die Zeilen in die Welt werfen. Dank Social Media und der vielen Notizbücher – ich trage meistens eines bei mir – ist das Aufzeichnen, das Ausformulieren von Gedanken leicht umsetzbar. Ob ich im letzten Schritt tatsächlich etwas zu sagen habe, etwas, das das Weltwissen anreichert, das sollen andere entscheiden. Gott sei Dank haben wir die Möglichkeiten uns offen und frei mitzuteilen. Wie lange dieser Zustand anhält, ist aus meiner Sicht fraglich. – Freiheit ist kein Selbstläufer, und wenn die Gesellschaft nicht dafür kämpft, so werden wird zwangsläufig im Parallel-Universum alle Bücher in der Bibliothek der nicht geschriebenen Werke archivieren – und keiner wird sie lesen können und die Welt wird dann an Gedanken ärmer und ärmer und wird geistig verkümmern.

Ich ende mit Schiller. Seine Werke sind alle hier in diesem Universum verfügbar; er hat das Weltwissen angereichert. Eine Lyrik von Schiller:

Die Worte des Glaubens
(Friedrich Schiller)

Drei Worte nenn ich euch, inhaltschwer,
Sie gehen von Munde zu Munde,
Doch stammen sie nicht von außen her,
Das Herz nur gibt davon Kunde,
Dem Menschen ist aller Wert geraubt,
Wenn er nicht mehr an die drei Worte glaubt.

Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei,
Und würd er in Ketten geboren,
Laßt euch nicht irren des Pöbels Geschrei,
Nicht den Mißbrauch rasender Toren,
Vor dem Sklaven, wenn er die Kette bricht,
Vor dem freien Menschen erzittert nicht.

Und die Tugend, sie ist kein leerer Schall,
Der Mensch kann sie üben im Leben,
Und sollt er auch straucheln überall,
Er kann nach der göttlichen streben,
Und was kein Verstand der Verständigen sieht,
Das übet in Einfalt ein kindlich Gemüt.

Und ein Gott ist, ein heiliger Wille lebt,
Wie auch der menschliche wanke,
Hoch über der Zeit und dem Raume webt
Lebendig der höchste Gedanke,
Und ob alles in ewigem Wechsel kreist,
Es beharret im Wechsel ein ruhiger Geist.

Die drei Worte bewahret euch, inhaltschwer,
Sie pflanzet von Munde zu Munde,
Und stammen sie gleich nicht von außen her,
Euer Innres gibt davon Kunde,
Dem Menschen ist nimmer sein Wert geraubt,
So lang er noch an die drei Worte glaubt.

S.

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