Ein Brief für T.

Lieber T.,

zufällig sind wir uns nach einer Lesung von mir über den Weg gelaufen – ich glaube Du bist auch im Publikum gewesen – und wir konnten, als wir beide zu unseren Autos gingen, noch ein paar Worte miteinander wechseln; es war ganz nett und unterhaltsam und ich erinnere mich noch an dein Auto – ein Rolls-Royce Phantom. Noch dazu mit einem waschechten Chauffeur, der Dir die Tür aufhielt, als wir bei Deinem Wagen standen; es war an einem herbstlichen Abend, es dämmerte bereits und es war ein Augenblick, wie aus einem englischen Roman. Selbst der gute alte Royce trug dezente herbstliche Farben und wenn ich schätzen müsste, auch ohne Fachmann zu sein, er müsste circa Baujahr 1960 – oder noch älter – gewesen sein. Dieses schöne Stück Zeitgeschichte, dieser Moment am Rande der Stadt und dieses sich plötzlich in Szene schieben, dieses markanten und ungewöhnlichen Anblicks in Form eines Kfzs, erweckten, dann doch sehr schnell, nach der ganzen Anspannung und nachgängigen Ermattung, nach meiner Lesung, wieder meine volle Aufmerksamkeit.

Als wir da gemeinsam standen, es muss nur der Bruchteil eines Augenblicks gewesen sein, da hätte ich Dir ja viel eher einen Porsche oder einen guten soliden Mercedes zugetraut – aber diese fürstliche, fast schon königliche Erscheinung Deines Fortbewegungsmittels, das erstaunte mich und hallt noch immer nach. Dann wurde mir auch klar, warum Du Deine Kleidung so trugst, wie Du sie trugst – ein sehr traditionell wirkendes Outfit, im Stil eines echten britischen Gentlemans (Tweet-Anzug, nebst Weste mit Taschenuhr). Dieser Anblick rundete dieses Bild des Augenblicks, in eine britische Harmonie inmitten von London ab – nur, dass wir uns mitten in Bayern, also in Deutschland, befanden. Bist Du vielleicht doch ein Lord und inkognito unterwegs? Oder ein unehrlicher Abkömmling des Hauses Windsor? Es fehlte nur noch, dass wir unsere Konversation im besten britischen Oxford-Englisch geführt hätten. Ich erinnere mich noch gut an unsere Sprache, wir rollten beide die Rs nur so dahin und unsere fränkischen Wurzeln können wir doch beide nicht verleugnen. Lange Zeit habe ich nichts mehr von Dir gehört, wir wollten ja in Kontakt bleiben, aber dann kamst Du mir doch wieder in den Sinn. Es liegt jetzt nur ein paar Tage zurück, ich sah ganz rein zufällig eine alte Sendung von Dir, ich muss diese damals auch gesehen haben, kann mich aber nicht mehr so deutlich daran erinnern, und sicher war ich selbst damals auch noch viel unaufmerksamer – Details und Kleinigkeiten übersah ich früher oft. Heute fallen sie mir – vielleicht liegt es ja am Alter – mehr auf. Was machst Du nur (?) – habe ich da etwas gesehen, was viele nicht glauben würden, wenn man darüber spräche? War es ein Trugbild oder steckt mehr dahinter, als man gutgläubig vermuten möchte? Vielleicht verstehst Du, vielleicht kommt ja wieder mal ein spontanes Treffen zustande, dann sprechen wir mal über diesen Aspekt miteinander. Ach ja, wie hat Dir die letzte Lesung gefallen? Du bist ja auch zwischenzeitlich zum Vielleser geworden; liest Du noch so viel, oder war dies damals nur durch die Äußerlichkeiten verschuldet? Egal, ob Viel- oder Wenigleser – welches Werk liest Du derzeit? Meld Dich mal oder schau in meinen öffentlichen Terminplan, die nächsten Lesungen finden ja, wie gewohnt, statt.

Herzlichst
S.