Wer hat Schuld?

Wer hat Schuld?

Wahrscheinlich niemand konkret; aber abstrakt gesehen, wahrscheinlich wir alle. Nur die Frage nach der Schuld, ist nie richtig zielführend, so wie es einst Volker Pispers sagte: „Wenn der Feind bekannt ist, hat der Tag Struktur!“

Warum diese Überschrift mit der Schuldfrage? Es betrifft die Zeit, die ganz konkrete Jetztzeit. Ich lese in den letzten Jahre sehr viele Bücher, vielleicht denke ich auch viel zu sehr über die Welt und über die Gesellschaft nach, aber ich glaube, dass uns allen dies im Blute liegt; und man kann halt nicht aus seiner Haut – nur habe ich das Gefühl, dass es um dieses Nachdenken können, nicht gut bestellt ist; viele Rahmen wurden außen herum gezogen, wurden und werden immer enger abgesteckt: es wird erschwert. Big Tech steckt eure Rahmen enger, als ihr wahrscheinlich glauben möchtet. YT, FB etc. gehen einen Weg, den wir in Deutschland schon einmal erlebten, damals waren es die Bücher, die verbrannt wurden – z.B.: Erich Kästner war einer von ihnen. Was hat dieses Bücherverbrennen in der Vergangenheit letztendlich bewirkt? Das dritte Reich ist unter gegangen, also die Unterdrückung von Meinungen, waren und werden nie den Fortbestand eines Regimes sichern – eher das Gegenteil ist der Fall: es beschleunigt den Untergang (manchmal kann man auch aus Geschichte etwas lernen, wenn nur nicht das Vergessen wäre und das Wissen über die Vergangenheit ist manchmal so flüchtig, wie Äther bei Raumtemperatur).

Wie viel darf und wie viel wird noch gedacht? Schwere Frage, die ich nicht beantworten kann; aber ich hoffe, dass immer mehr gedacht werden wird – und ich lasse hierbei die Richtung völlig offen. Aber es sollte uns auch allen klar sein, dass Denken ein immer kostbareres Luxusgut wird, das man sich auch leisten können muss. Wirtschaftliche und soziale Abhängigkeiten stecken die Rahmen für das freie Denken immer häufiger sehr eng ab; keiner will und keiner kann es sich leisten, frei zu denken, wenn der Preis dafür ist, wie Diogenes in der Tonne zu leben.

Ich lese im Moment oder habe sie bereits fertig gelesen, drei Bücher, die mich geradezu dazu zwingen, diesen Text zu schreiben: Ida Fink – die Reise (zwei jüdische Mädchen auf der Flucht vor Verfolgung durch die Nazis), George Orwell – 1984 (man braucht über dieses Werk nicht viel zu sagen, außer, wie erschreckend manche Parallelen sind) und Erich Kästner – Das Blaue Buch (Kriegstagebuch 1941 – 1945). Wer diese drei Bücher gelesen hat, der kommt nicht mehr um das Danken herum – ich glaube fast, dass diese drei Werke das Gewissen jedes Menschen erwecken werden.

Ida Fink – die Reise: Ich war tief berührt und auch tief erschrocken darüber, wie Menschen miteinander umgingen, als sie medial durch Lügen, Boshaftigkeit und politisches Kalkül aufgehetzt wurden. Mit all dem Leid, das das jüdische Volk erlitt, sollten wir nie vergessen, welch erschreckende Wirkung Propaganda verursacht und ein Volk zu Taten bewegen kann, die an Abscheulichkeit nicht mehr zu überbieten sind. Sie machte aus dem Volk der Dichter und Denker, ein Volk von Richter und Henker. Das sollten wir immer im Blick haben, die sprachlichen Mechanismen sind immer dieselben, nur die Stereotypen ändern sich: schaut genau in die Welt und in die Medien und denkt nach. Die Stigmatisierung, das Schlechtreden von Gruppen von Menschen, ist stets der Anfang für die weiteren Schritte. Sprache und Medien, legitimieren immer das Weitere. Es ist nie der Jude, nie der Farbige, nie der Deutsche, nie der Moslem – jeder ist ein individuelles Wesen, mit unterschiedlichen Facetten, wenn jemand anfängt zu pauschalisieren, Gruppen von Menschen über einen Kamm zu scheren versucht, spätestens dann sollten wir wach werden.

Georg Orwell – 1984: Bin ich noch dabei zu lesen, aber ich bekomme immer mehr den Eindruck, dass ich nur mit offenen Augen und offenem Verstand in die Welt zu blicken brauche, um zu verstehen, was das Buch mir sagen möchte. Sprachlich: Krieg ist Frieden – ist an sprachlicher Perversität kaum mehr zu überbieten; Befriedung durch Krieg, wäre ebenfalls in dieser Kategorie – Krieg bedeutet: Tod, Leid, Frauen und Kinder … Man muss nur genau zuhören und denken; aber wir gewöhnen uns schneller an diese Sprachkonstrukte, als einem lieb sein kann. Negatives Wachstum – wie irre ist das? Denkt mal darüber nach, es gibt viele Beispiele, denkt über eure Sprache nach: ihr Dichter und Denker.

Erich Kästner – Das blaue Buch: Zeigt sehr erhellend den Kriegsalltag in Berlin aus der Sicht von Erich Kästner. Viele Details zeigen die gesellschaftlichen Mechanismen, die auch heute noch Gültigkeit besitzen. Die “Bonzen”, so wie Kästner an manchen Stellen schreibt, haben in Berlin immer alles bekommen, es war halt nur eine Frage des Preises. Auch das Bevorzugen von Parteimitgliedern in puncto Informationen gab es damals schon. Manche konnten noch schön gemächlich ihr Hab und Gut aus Berlin wegschaffen, bevor der Befehl öffentlich wurde, die Stadt zu schließen und keiner mehr raus und rein kam – also auch hier gab es die Bevorzugung; das wird jetzt keinen von uns groß wundern, aber für das Verständnis von Gesellschaften und Menschen sind diese Aspekte und die Lehren aus der Vergangenheit wichtig; aber ja, ich weiß, der Äther bei Raumtemperatur …

Viele Zeilen für die Welt geschrieben, was konstruktiv daraus wird, mag man selbst nie sehen können; aber Dinge, die gesagt werden müssen, müssen einfach gesagt werden. Ich weiß nicht, wohin sich unsere Gesellschaft bewegen mag, ich sehe das auf der einen Seite mit etwas Sorge, auf der anderen Seite weiß und glaube ich, dass früher oder später wieder Besinnung und Vernunft in das gesellschaftliche Gefüge diffundieren wird – das ist die positive Alternative; die andere Möglichkeit will ich nicht beschreiben müssen, denn es ist nie zu spät die Dinge besser zu machen; Fehler zu korrigieren und ich sage es ganz deutlich: Wir haben die Wahl, wir können uns immer aufeinander zu bewegen, wieder anfangen miteinander zu sprechen; man muss andere Meinungen hören und sich an die runden Tische begeben – cancel culture ist sicher der falsche Weg. Was im Moment geschieht, das ist Trennung, ein stumm stellen von unbequemen Stimmen, Meinungen – weltweit -, Big Tech hätte hier eine große Verantwortung, welcher sie sich auch stellen müsste, aber ob diese Firmenkonstruke diese moralische Herausforderung meistern werden, das wage ich im Moment zu bezweifeln. Auch die normalen Medien sind mehr als gefordert und gerade in dieser Zeit tragen sie eine sehr hohe Verantwortung. Derzeit sind alle gut beraten, wenn sie befrieden würden, sich aufeinander zubewegen könnten – leider wird immer restriktiver getrennt, Freunde zu Feinden erklärt und die Worte verstummen. Lest mehr, vielleicht meine drei Büchervorschläge, denkt noch mehr nach, fangt wieder an miteinander zu sprechen mit euren neuen Feinden, dreht die Uhren zurück in die Zeit, als ihr noch Freunde wart, sprecht mit Menschen, auch oder ganz besonders, wenn sie andere Meinung sind. Hört zu – manchmal muss man erst wieder das Zuhören lernen, um auch etwas sagen zu können.

In diesem Sinne, wenn nicht ihr, wer denn sonst?

(Im Moment haben wir noch keinen Austauschplaneten – wir haben nur diese eine Erde, da müssen wir uns gemeinsam engagieren, für die Zukunft).

Anmerkungen:

– Video zum Thema: Cancel Culture https://www.youtube.com/watch?v=_0JnJZs4L8o
– Videos zum Thema: Big Tech:
– https://www.youtube.com/watch?v=YBZBM4zTVNI
– https://www.youtube.com/watch?v=a4ZEmlasxrE
– https://www.youtube.com/watch?v=dR_jsPSQP1w
– https://www.youmaker.com/video/8db0a3fc-02c2-4b0b-9943-375b9c029b09