Der Freytag: Im Westen nichts Neues – (wie) nah ist der Osten?

Im Westen nichts Neues. Ein Roman aus dem Jahre 1929 von Erich Maria Remarque. 1933 ist das Buch von den Nazis verboten worden; wegen seiner »verräterischen« und nicht heroischen Darstellung des Krieges – auch dieses Werk landete auf den unzähligen Scheiterhaufen zwischen März bis Oktober 1933 in Deutschland, die an zahlreichen Orten entzündet wurden. Viele Autoren sind damals als verfemt (geächtet, rechtlos, vogelfrei) von den Nazis stigmatisiert worden. Die Zeichen waren deutlich und erkennbar und eigentlich hätte man damals – 1933 – erkennen müssen, welcher Sturm auf den Wind von 33 folgen wird. Ein kurzer Auszug aus der von den »braunen Jungs« erstellten »Schwarzen Liste« der »verbrannten« Autoren – Autoren, die ich heute noch schätze und gerne lese, jedoch ab 33 bis 45 in Deutschland geächtet und verboten waren:

Kaestner, Erich – alles
(außer:) Emil und die Detektive

Mann, Heinrich

Mann, Klaus

Tucholsky, Kurt

Zweig, Stefan

Remarque, Erich Maria

Doeblin, Alfred – alles
(außer:) Wallenstein

Hemingway, Ernest
In einem anderen Land

Brecht, Bertolt

Feuchtwanger, Lion

Graf, Oskar Maria – alles
(außer:) Wunderbare Menschen, Kalendergeschichten

Die Bücherverbrennungen sind erst der Anfang gewesen; Signale der totalen Intoleranz, Leuchtfeuer der Barbarei und Tür- und Toröffner für die Verblödung einer Gesellschaft; es wurde alles in Brand gesteckt und ausgemerzt, was nicht ins System passte; erst die Bücher, dann die Sprache und die Schrift mit dem Ziel, die Gedanken zu kontrollieren; am Ende brannten nicht nur die Bücher, es verbrannten unzählige Seelen in den Flammen der Kriegshölle.

Das Bild gleicht sich zu jeder Zeit, egal an welchem Ort; Krieg entsteht nie schlagartig aus dem Nichts. Es findet immer eine mediale Vorbereitung statt; siehe 1. Weltkrieg. Am Anfang waren alle »Kriegsgeil«; die Medien haben gute Vorarbeit geleistet. Im Westen nichts Neues. Im Oktober 2022 sah ich die Neuverfilmung von Edward Berger auf Netflix. Die anfängliche Kriegslust vieler junger Männer in Deutschland – fernab der Front – sollte Alarmsignal für die Gesellschaft sein; aber alle waren blind. Ab 1914 – inmitten des Kriegsgeschehens direkt an der Front – kam schlagartig die Ernüchterung und die »Kriegsgeilheit« wich der Realität. Inmitten von Tod und Elend riefen die vielen Kindersoldaten nach ihrer Mutter – zu spät, viele verendeten bereits in den ersten beiden Wochen als Kanonenfutter im Kriegsgewirr.

Wie sinnlos Krieg ist, das sollten wir Menschen eigentlich verstanden haben – eigentlich. Leider ist dem nicht so; wir sind nach vielen Jahrhunderten kein Stück schlauer, wenn es um Krieg geht. Wir erleben soeben – wieder einmal – eindrücklich, wie rasant sich der Irrsinn breitmacht; im Nahen Osten herrscht Krieg. Das Pulverfass Ukraine steckt nach wie vor noch im Feuer fest und die Frage, wie es dort weitergehen soll, kann derzeit niemand beantworten; das sinnlose Abschlachten und Töten geht weiter. In Europa herrscht Ausnahmezustand. Der NATO geht die Munition aus und bald wird man nur noch Peng-peng rufen können, um das Abfeuern der Schusswaffen anzudeuten. – Der Tiger NATO ist zahnlos; vielleicht ein Ausweg aus dieser Irrsinnsspirale.

Es ist Samstagmorgen, der 7. Oktober 2023; Großangriff auf Israel; mehrere tausend Raketen werden aus Gaza auf Israel abgeschossen; ein neuer Brandherd ist entflammt und wir stehen verdutzt und geschockt vor dem Faktum mit dem Namen: Krieg! – Ein Flächenbrand ist möglich; auch das Pulverfass Naher Osten ist nie wirklich aus der Feuersglut der erhitzen Gemüter entfernt worden und in diesem Konflikt treffen zusätzlich erschwerend auch noch zwei große Weltreligionen aufeinander. Die Gewalt hat eine neue Dimension erreicht. Die Bilder stimmen sorgenvoll; die Bilder von 1973 vom Jom-Kippur-Krieg kehren zurück (6.10. – 25.10. 1973, Krieg zwischen Ägypten, Syrien und weiteren arabischen Staaten gegen Israel).

Im Westen nichts Neues; im Nahen Osten – leider – auch nichts Neues. Frieden ist eine zarte Pflanze; Frieden ist das Bewusstsein, dass es nur miteinander auf diesem Planeten glücken kann. Frieden ist auch eine Frage der Perspektive; wie wichtig man die Interessen des Anderen zu nehmen vermag und wie demütig man sich selbst in dem großen Geschehen der Weltgeschichte positionieren kann. Um das eigene Selbst wieder in das richtige Verhältnis zu setzen, um sich über die eigene »Wichtigkeit« klar zu werden, kann der Blick auf die Aufnahme »Pale Blue Dot« der Raumsonde Voyager 1 aus dem Jahr 1990 helfen. Das Foto zeigt die Erde aus einer Entfernung von etwa 6 Milliarden Kilometer oder 40,5 AE; als ich unsere Erde das erste Mal auf dem Foto sah, war ich über die Wichtigkeit meines eigenen Selbst wieder ganz neu geerdet. – Vielleicht sollten alle Kriegstreiber verpflichtend für mehrere Stunden täglich die »Pale Blue Dot«-Aufnahme der Erde anschauen müssen um wieder normal zu werden; aber den Kriegstreibern wird das wohl nicht interessieren; so bleibt nur uns die Erkenntnis: Frieden geht immer von uns selbst aus: Hier die Aufnahme zur Ansicht:

Pale Blue Dot – die Erde 1990 von der Raumsonde Voyager 1 aufgenommen

Direkt-Link zur NASA: https://photojournal.jpl.nasa.gov/jpeg/PIA23645.jpg

 

Fortsetzung folgt …

S.

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