Der Freytag: Zwischen Zeilen und Zerwürfnissen – Bachmann, Frisch und das Echo der Literatur

Der Ingeborg-Bachmann-Preis

Vom 25. bis 29. Juni 2025 ist Klagenfurt wieder das Zentrum der deutschsprachigen Literatur. Es finden die 49. Tage der deutschsprachigen Literatur statt, und am 29. Juni wird der Ingeborg-Bachmann-Preis verliehen. Der Preis wurde 1976 von der Stadt Klagenfurt im Gedenken an die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann gestiftet und wird seit 1977 jährlich verliehen. Fast ein halbes Jahrhundert also, in dem an Bachmann erinnert wird – und dennoch bleibt ihr Name untrennbar mit einer anderen literarischen Gestalt verbunden: Max Frisch.

Das berühmteste Paar der deutschsprachigen Literatur

Es ist eine der faszinierendsten Liebesgeschichten des 20. Jahrhunderts, die sich da zwischen der österreichischen Lyrikerin und dem Schweizer Prosaschriftsteller entfaltete. 1958 waren sie bereits Stars, als sie sich kennenlernten. Die österreichische Lyrikerin Ingeborg Bachmann und der Schweizer Prosa- und Theaterautor Max Frisch gehörten mit Gedichtbänden wie „Die gestundete Zeit“ beziehungsweise Romanen wie „Homo faber“ zu den meistgelesenen deutschsprachigen Schriftstellerinnen und Schriftstellern ihrer Zeit.

Begeistert schrieb Max Frisch einen Brief an sie, nachdem er ihr Hörspiel „Der gute Gott von Manhattan“ gehört hatte, in dessen Folge sich beide im Juli 1958 in Paris erstmals trafen. Es war der Beginn einer vierjährigen Beziehung, die so leidenschaftlich wie zerstörerisch war. Dort muss es in der Dringlichkeit weitergegangen sein, die Bachmann in ihrem ersten Brief eingeführt hatte. Frisch sollte sich gleich für sie entscheiden: „Ich liebe eine Frau, die mich liebt, und Du trittst in mein Leben, Ingeborg, wie ein langgefürchteter Engel, der da fragt Ja oder Nein.“

Das Unmögliche einer grossen Liebe

Für Frisch sei das Leben „mehr als die Literatur“, deren Aufgabe darin bestehe, „genau dies zu zeigen.“ Für Ingeborg Bachmann reiche hingegen umgekehrt das Leben nie an die Literatur heran. Diese fundamentale Differenz im Verständnis von Leben und Kunst sollte sich wie ein roter Faden durch ihre Beziehung ziehen. Sie waren kein naheliegendes Paar, und es trennten sie nicht nur 15 Jahre Altersunterschied und konträre literarische Haltungen (er schrieb nüchtern, sie ekstatisch). Selbst da, wo sie sich ähnlich waren, in ihren Selbstzweifel, ihrer an Destruktivität grenzenden Bedingungslosigkeit, blieben sie einander fremd.

Die Beziehung war geprägt von Eifersucht und parallelen Affären. Bachmann und Frisch hatten im sogenannten Venedig-Vertrag eine offene Beziehung vereinbart, in der intime Kontakte zu Dritten nur dann dem Gegenüber mitgeteilt werden sollten, wenn sie wesentlich für einen selbst seien. Solch eine Situation trat im Frühjahr 1962 durch Bachmanns Liebe zu Paolo Chiarini ein; beide werteten dies als wesentlich für ihrer beider Verhältnis. Frisch und Bachmann trennten sich im März 1963.

Die literarische Verarbeitung der Liebe

Was aus dieser gescheiterten Beziehung entstand, war mehr als nur persönlicher Schmerz – es wurde Literatur von Weltrang. Max Frisch verarbeitete die Erfahrungen in seinem 1964 erschienenen Roman „Mein Name sei Gantenbein“, einem der komplexesten Werke der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur. Der Roman entstand, als Frisch zusammen mit Ingeborg Bachmann in Rom lebte (1960-1964). Das Verhältnis zwischen Gantenbein und Lila spiegelt teilweise diese Beziehung wider.

Frisch entwirft darin die Figur der schönen, narzisstischen, immer auf Selbstinszenierung bedachten Lila, die als Schauspielerin, als Ärztin und als Contessa auftritt und den Identitäten des männlichen Erzählers gegenübergestellt wird. In der Figur des Gantenbein, der sich blind stellt, um seine Umwelt unerkannt beobachten zu können, schuf Frisch eine der faszinierendsten literarischen Gestalten des 20. Jahrhunderts – einen Mann, der durch gespielte Blindheit zu neuer Sicht gelangt.

Der Schmerz der Indiskretion

Für Ingeborg Bachmann war die Trennung von Max Frisch nach fast fünf gemeinsamen Jahren mit mehrmaligen psychischen wie physischen Zusammenbrüchen und Klinikaufenthalten verbunden. Das Erscheinen von Frischs Roman verstärkte die Krise der Schriftstellerin. Die Literaturwissenschaft hat mittlerweile rekonstruiert, wie schmerzhaft Bachmann die literarische Verarbeitung ihrer Beziehung empfand. In einem Handexemplar der Dichterin von Frischs Gantenbein finden sich nicht nur zahlreiche Anstreichungen, sondern auch ein Notizzettel, auf dem Bachmann die Stellen im Buch festhielt, in denen sie sich bzw. Erfahrenes wiedererkannte.

Bachmanns Antwort war ihr 1971 erschienener Roman „Malina“, ein ebenso komplexes wie verstörendes Werk über eine Ich-Erzählerin zwischen zwei Männern. Es findet sich nicht oft, dass eine durchaus reale, gescheiterte Liebesbeziehung Anlass ist für gleich zwei Romane, geschrieben von den Betroffenen selbst: „Malina“ von Ingeborg Bachmann, „Mein Name sei Gantenbein“ von Max Frisch.

Marcel Reich-Ranicki: Der Wegbereiter und Zeuge

Gemeinsam mit anderen Literaturfreunden initiierte Reich-Ranicki 1977 den Ingeborg-Bachmann-Preis, der rasch zu einem der bedeutendsten deutschsprachigen Literaturwettbewerbe und -preise wurde. Der einflussreiche Kritiker, der beide Schriftsteller persönlich kannte, erkannte früh ihre literarische Bedeutung. Reich-Ranicki hielt Ulla Hahn für die wichtigste Repräsentantin der Neuen Subjektivität, wogegen er Ingeborg Bachmann als bedeutendste Dichterin nach 1945 anerkannte.

Über Max Frisch äusserte sich Reich-Ranicki in seinen Schriften wiederholt. Max Frischs Bedeutung lag nach Reich-Ranicki in der Prosa. Er sah die drei Romane Stiller, Homo faber und Mein Name sei Gantenbein sowie einzelne Passagen aus dem literarischen Tagebuch als größte schriftstellerische Leistung des Schweizers. In der Fernsehserie „Lauter schwierige Patienten“ widmete er beiden Schriftstellern eigene Folgen. Die wohl schwierigste seiner „Patienten“ war Ingeborg Bachmann. Obwohl unsicher, gehemmt und unglücklich, habe auch sie allerlei Tricks angewandt, um – etwa durch geflüsterte Lesungen – in den Mittelpunkt zu rücken.

Das Vermächtnis einer grossen Liebe

Was bleibt von dieser schmerzhaften Liebe zwischen Bachmann und Frisch? Zunächst die Erkenntnis, dass grosse Literatur oft aus existentiellen Krisen entsteht. 2022 wurde mit „Wir haben es nicht gut gemacht“ der Briefwechsel zwischen Bachmann und Frisch veröffentlicht, der neue Einblicke in diese komplexe Beziehung gewährt und manche Legenden korrigiert.

Der Roman „Mein Name sei Gantenbein“ hat sich als eines der bedeutendsten Werke der deutschsprachigen Moderne etabliert. Mit seiner innovativen Erzähltechnik – „Ich probiere Geschichten an wie Kleider“ – und der Thematisierung von Identitätskrisen hat Frisch ein Werk geschaffen, das weit über die biografischen Umstände seiner Entstehung hinausweist. Die Figur des Gantenbein, der durch gespielte Blindheit zu neuer Erkenntnis gelangt, wurde zur Metapher für die Bedingungen menschlicher Selbsterkenntnis in der Moderne.

Wenn der Bachmann-Preis verliehen wird

In diesem Jahr würde Ingeborg Bachmann 99 Jahre alt werden. Der nach ihr benannte Preis hat sich zu einer der wichtigsten Institutionen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur entwickelt. Wenn am 29. Juni in Klagenfurt wieder ein Text ausgezeichnet wird, dann geschieht das im Gedenken an eine Schriftstellerin, deren Leben und Werk untrennbar mit dem eines anderen grossen Autors verbunden ist.

Die Geschichte von Bachmann und Frisch lehrt uns, dass Literatur mehr sein kann als nur ästhetisches Spiel – sie kann Lebenszeugnis werden, schmerzhafte Wahrheit und zugleich deren künstlerische Überwindung. In einer Zeit, in der über die Grenzen zwischen Fiktion und Realität, zwischen Privatem und Öffentlichem diskutiert wird, bleibt die Beziehung der beiden ein exemplarischer Fall für die Macht und die Verantwortung der Literatur.

Der Bachmann-Preis 2025 wird nicht nur neue Stimmen auszeichnen, sondern auch an jene grosse Tradition erinnern, in der Literatur und Leben, Kunst und Existenz auf exemplarische Weise miteinander verflochten sind. Das ist vielleicht das wichtigste Erbe jener unmöglichen Liebe zwischen der Österreicherin und dem Schweizer: dass aus persönlichem Leid Kunst von universeller Gültigkeit entstehen kann.

Sapere aude!

S. Noir