Der Spaziergänger: Über die Zeit

Seit meiner Kindheit bin ich von Uhren fasziniert; F. v. Schirach sprach gestern in seiner Lesung auch von der Zeit; denkende Menschen kreuzen sich häufig mit ihr – gedanklich; F. v. S. meinte: Sie lässt uns scheitern, da der Tod unumgänglich sei. Ich trage eine Taschenuhr; vielleicht, da ich die Zeit in die Taschen stecken möchte. – Ob man das kann? – Sicher nur für Augenblicke. Sie schleicht sich häufig unbemerkt in unser Leben. Bei Spaziergängen in der Heimat wird mir der Verfall deutlich – er zeichnet mit der Handschrift der Zeit. Der Glanz von früher ist verblichen, Straßen sind beschädigt, Häuserfassaden haben ihre Farbigkeit vergessen, im grauen Mittagslicht erscheint im April vieles trist – auch die Menschen tragen keine Farbe mehr an sich. – Vielleicht will jeder im grau-in-grau in der Masse verblassen, unauffällig bleiben: zeitlost sein. – Ich ziehe meine Taschenuhr auf, höre ihren tickenden Verfall für einen Augenblick zu, stecke sie dann wieder in meine Tasche und blicke in mein Buch: Ein kurze Geschichte der Zeit (S. Hawking) – auch er musste scheitern. – Ob die Menschen begreifen werden, wie zeitlos der Geist sein kann? Ich denke an meine Kindheit, als ich eine Kinderuhr trug; sie war digital und hatte eine Schildkröte auf dem Gehäuse; sie ging nach, manchmal gar nicht; aber als Kind war mir das egal, ich liebte es, die Schildkröte auf der Uhr anzuschauen – die Zeit war noch zeitfrei.

S.