Der Freytag: Wir müssen im Leben scheitern …

… denn das Leben endet mit dem Tod. Am vergangenen Osterwochenende besuchte ich gemeinsam mit meiner Frau eine Lesung von einem meiner Lieblingsautoren: Ferdinand von Schirach. Dieser Satz fiel sinngemäß im Rahmen des Abends. Doch jetzt sitze ich wieder in meinem Kaffee; die Welt geht ihre eigenen Wege und ich gehe die Meinen. Habe soeben ein Kännchen Kaffee bestellt; freue mich auf den Anblick, wenn es an den Tisch gebracht wird; denn hier in meinem Stammkaffee serviert man den Kaffee noch traditionell im guten alten Wiener-Kaffeehaus-Stil. Das Café besteht seit 1910 und die Silbertabletts stammen wahrscheinlich noch aus der Gründerzeit, die Kratzer, der Abrieb zeugen von einem leidenschaftlichen, mit tiefen Spuren hinterlassenen Kaffeehausleben. Mir fällt soeben ein Zitat, auch von einem meiner geschätzten Autoren, von T. Bernhard ein: »Wie andere in den Park oder in den Wald, lief ich immer ins Kaffeehaus, um mich abzulenken und zu beruhigen, mein ganzes Leben.«

Im Moment ist es noch relativ ruhig im Café. Ich sitze für mich in meiner eigenen Welt; keiner spricht mich an, will etwas, ich bin alleine mit meinen Gedanken; wenn du die Einsamkeit suchst, geh’ unter die Menschen – falls mich jemand nach meiner Einsamkeitssuche fragen würde wäre dies meine Antwort. Der Kaffee kommt; Kaffeeservice und Tablett zeigen stolz und still ihre Spuren der Zeit; ich mag das, Dinge, die alt wirken und auch alt sind, die Geschichte und Seele haben; so schmeckt der Kaffee am besten. – Wird auch mein Kaffeeservice scheitern? An dessen Ende steht vielleicht auch das ausrangiert sein, vielleicht haucht es den letzten Atem aus, wenn es am Polterabend im Vorhof eines angehenden Ehepaars auf dem Hofpflaster in 1000 Stücke zerspringt … – Wir müssen scheitern, denn das Leben endet mit dem Tod. Wahrscheinlich ist es nicht der Tod, der mögliche Zustand der Nichtexistenz, der dieses Unbehagen lebendig werden lässt; oder ist die Angst vor dem Unbekannten. Im Normalfall denkt man als junger, gesunder Mensch nicht – oder ganz selten – über den Tod nach man ist voller Leben. Beim Beobachten des Sternenhimmels mit meinem Teleskop dachte ich über die Endlichkeit nach – auch als sehr junger Menschen. Aber der Gedanke, dass schlagartig alles endet, war für mich nicht zu greifen, nicht zu begreifen, er war nach langer Überlegung völlig unlogisch. Ob man mit Logik und Verstand über das Leben und besonders über den Tod nachdenken kann?

Man kann. Ich finde es, seit ich denken kann, sehr spannend über Dinge nachzudenken; ich denke, dass es im Geist keine Schranken gibt; der Geist ist frei, grenzenlos; aber die Möglichkeiten von uns sind unterschiedlich; manche sind offener, manche verschlossener. Einstein zum Beispiel war sehr offen; durch Überlegung, durch das Durchdenken seiner Gedanken-Experimente mit Teilchen kam er zu erstaunlichen Ergebnissen, welche Jahrzehnte später durch physikalische Versuche bewiesen wurden; nach wie vor erstaunlich und außergewöhnlich. – Ich finde das sehr spannend. Gedanken sind auch schneller als das Licht – darüber kann nachgedacht werden, denn die daraus resultierenden Ableitungen eröffnen völlig Neues. Auch physikalisch ist die Lichtgeschwindigkeit nicht ganz so terminierende, wie man denken möchte; die Quantenverschränkung eröffnet interessante Wege. Ich verschränke meine Arme, lass meinen Blick im Kaffeehaus schweifen, das sich jetzt mit Leben füllte und denke: Wie viele denken hier über die Endlichkeit, über das Leben und den Tod nach oder was wird gerade im Moment in den vielen Köpfen gedacht?

Vielleicht möchte man es gar nicht so genau wissen; vielleicht ist der Schleier des Unwissens genauso wichtig für das Leben, wie die Unkenntnis von dem, was nach dem Tode folgen wird. Mit dem Wissen schwindet das Denken; das wäre auch irgendwie schade; wir müssen im Leben scheitern, denn das Leben endet mit dem Tod. Ich denke gerade nach und glaube, dass bei dieser Frage zu klären wäre, was Erfolg und was Scheitern bedeutet. Vielleicht ist es schon ein Erfolg, wenn man sein Leben so lebt, wie es das Schicksal einem vorgibt?

Fortsetzung folgt …

S.

Der Freytag: DerFreytag.de

Auch publiziert auf: https://www.ganjing.com/news/1fp8pubcll25ZV7pUZhmM0qp11pg1c/der-freytag-wir-mussen-im-leben-scheitern