Der Freytag: Neues vom Theorieminister – Ich denke, also bin ich?

Jedem Wissen steht häufig eine Erkenntnis voran. Wissen ohne Erkenntnis nenne ich Bildung; sie kann niemals so tiefgründig im eigenen inneren Ich verankert sein, wie das Wissen, das durch eigene Erkenntnis erschlossen wurde. Erkenntnisgewinnung ist ein innerer, stiller Vorgang, dem häufig viele Denkmomente und Überlegungen voranstehen. Welche Voraussetzungen benötigen Erkenntnisse? – Die Fundamente unserer Glaubens- und Wissens-Konstrukte sind häuft fragil und instabil; sie sind mit dem Voranschreiten der eigenen Lebenszeit, dem natürlichen Prozess des Verfalls und der Veränderung durch äußere Stimuli ausgesetzt, wie der Fels dem Wasser in der Brandung.

Theorieminister denken; sie denken nach, gerne abstrakt und sie sind beglückt, wenn sie durch Überlegung Erkenntnisse gewinnen. – Doch manche Erkenntnisse kommen scheinbar aus dem Nichts; häufig in Augenblicken der geistigen Stille – ohne Gedanken. So sind sehr viele Lyriken entstanden. In diesen Momenten stellt sich die Frage: Bin ich? – Da ich nicht denke, was bin ich in diesem Augenblick der geistigen Leere? Bin ich dann wie Schrödingers Katze erst dann klar definiert – zu definieren -, wenn ich Beobachtung (durch mich selbst oder von außen) erfahre? Der Mensch ist komplex. Diesen Zustand der geistigen Leere, den Zustand der geistigen Entspannung, bezeichne ich gerne als den Zustand: Bereit für Inspiration.

Ich geh’ gern’ ins Kaffeehaus; im Kaffeehaus kann ich denken; denken, gelingt mir am besten, wenn ich für die Denkrichtung offen bin; also keinem festen Ziel hinterherlinse. Im Kaffeehaus kann ich gut beobachten, was die Menschen und was die Welt – die zugegeben sehr kleine Welt im Kaffeehaus-Kosmos – umtreibt. Vor einer Woche bin ich in einem wunderschönen Wiener Kaffeehaus in Marienbad gesessen. In diesem kleinen und sehr ansehnlichen Kurort in Westböhmen sind bereits seinerzeit J. W. v. Goethe, S. Zweig, F. Kafka, A. Bruckner, F. Chopin, G. Mahler, M. Twain, J. Strauss und (mein) R. Wagner gewesen. Ich tat es ihnen gleich; ich trank auch unzählige Liter aus den Quellen Marienbads. – Am besten schmeckte mir die Waldquelle, die auch Goethe kostete und mundete. Wagner fand Inspiration in Marienbad; er begann 1845 an diesem Ort mit dem Entwurf von: Lohengrin und Die Meistersinger von Nürnberg. – Marienbad: Ein Ort für Inspiration? Ich denke ja.

Ich bin auch – existent – ohne dass ich denke; denn das Sein ist überweltlich; alle menschlichen Gedanken sind von weltlicher Natur. Und vielleicht zeigt sich in den Augenblicken von Inspiration für einen kurzen Moment das Überweltliche ins Korsett der weltlichen Gedanken hineingepresst.

Fortsetzung folgt …

S.

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Ein Ort für – meine – Inspiration: Ein Kaffeehaus!