Der Freytag: Tannhäuser in Bayreuth und zurück zur Tradition oder ist die Welt nur eine Bühne mit einem Hauch von Hoffnung

Das Festspielhaus in Bayreuth – Bayreuther Festspiele 2023

Wenn die Welt eine Bühne ist, dann eine mit vielen Verfehlungen, einer Menge Eitelkeiten, einer Prise Heiterkeit und einem Hauch von Hoffnung. Nach Schiller: »Es ist kein leerer, schmeichelnder Wahn,/ erzeugt im Gehirne des Toren,/ im Herzen kündet es laut sich an:/ zu was Besserm sind wir geboren./ Und was die innere Stimme spricht,/ das täuscht die hoffende Seele nicht.« (Friedrich von Schiller, Lyrik Hoffnung).

2022 sah ich in Bayreuth den kompletten Ring; vier Wagner-Opern an vier Tagen im Festspielhaus. Wer das Gebäude in Bayreuth kennt, der weiß, dass Wagner nicht nur den Geist, sondern auch den Körper fordern kann. Nach der Götterdämmerung war ich in einem Zustand zwischen Bühne des Lebens und Parkett in Bayreuth im Dasein gefangen – irgendwo undefinierbar, aber existent; gefühlt mit einem Bein im Leben und mit dem anderen fernab von all der Normalität des Lebens – aber mit der Gewissheit, dass die Oper auch Hoffnung spenden kann; eine Eigenschaft, die, wie mir scheint, immer wichtiger im tagtäglichen Wirrwarr der unzähligen Akte zu werden scheint. Gestern sah ich in Bayreuth Tannhäuser; die Wartburg ist in Bayern, in Bayreuth gewesen und die Frage – die uralte Wagner-Frage – nach Erlösung schwebte greifbar über dem Grünen Hügel in Oberfranken. – Die Hoffnung (nach Erlösung) ist ein zentraler Aspekt in Wagners Welt.

In der Gegenwart steigt die Taktung der Negativmeldungen auf der Bühne des medialen Lebens. Der normale Geist eines gewöhnlichen Menschen gelangt an die Grenze seiner Möglichkeiten mit der Folge: Übertaktung. Damit einhergehen: Die Ruhezeiten für die notwendigen Abkühlungen werden länger und länger. Wenn der Medienkonsument versucht, mit seinem gesunden Menschenverstand das Irrsinnige fassen und begreifen zu wollen, muss er zwangsläufig feststellen, dass dies unmöglich ist, mit der Folge: Die Rufe nach Erlösung werden lauter und lauter und er – der Mensch als Singularität in seinem Weltbild – muss sein Scheitern zur Kenntnis nehmen – so wie Tannhäuser, vorerst. Er (Tannhäuser) ist gefangen in einer Welt von Sinnlichkeit; bei ihm folgt nach einer Weile die Überdrüssigkeit. Genuss, wenn er zum Dauerzustand wird, verliert schnell und automatisch? seinen Reiz: »Wenn stets ein Gott genießen kann, bin ich dem Wechsel untertan;« (Tannhäuser). Kann er – Tannhäuser als Individuum – als fiktive? Gestalt aus einer anderen Epoche auch als ein Repräsentant einer gegenwärtigen gesellschaftlichen Strömung herangezogen werden? Überdrüssigkeit, Übertaktung und Überforderung auf der einen Seite, Übermut und Überheblichkeit auf der Gegenseite – Tannhäuser und Venus als Ausprägungen einer Gesellschaft?

Innerhalb einer gesellschaftlichen Gemeinschaft ist die Fragestellung nach den Wünschen und Sorgen der Mehrheit ein zentraler Bestandteil des gemeinsamen Miteinanders – vielleicht sogar die Fragestellung nach Erlösung? – Die Politik könnte die Rolle der Venus, aber auch die Rolle der Elisabeth spielen. Der aktuelle Zustand erlaubt kein Verharren im Status quo. Bei jenen, die ausharren und verharren möchten, verliert der Staus quo ebenso an Glanz und Substanz wie bei der Gegenseite – Venus vs. Tannhäuser? Doch woher kommt dieses Streben nach Veränderung? Von Goethe wissen wir: »Es irrt der Mensch so lang er strebt.« (Der Herr im Prolog im Himmel – J. W. v. Goethe – Faust). Ist all das Streben bereits von vornherein zum Scheitern verurteilt? Scheitern ist vielleicht auch nur eine Zustandsbetrachtung, für die das Zeitintervall zu eng gewählt worden ist.

Tannhäuser, getrieben von Rage, Besserwisserei und Übermut, singt sich um Kopf und Kragen; er besingt lauthals seine Moralverfehlung – den Genuss von Sinnlichkeit im Venusberg – und erntet die Verdammung durch den Fürsten. Es folgt sein tragischer Verlauf im Diesseits. Am Ende des dritten Aufzugs – am Ende seiner Tage, am Ende der Oper – blickt Tannhäuser auf den Leichnam von Elisabeth – die Hoffnung, seine Hoffnung, die zu Grabe getragen wird. Er bricht auf der Bahre Eisabeths zusammen und stirbt mit den letzten Worten: »Heilige Elisabeth, bete für mich.«

Pilger erscheinen und tragen den auf wundersame Weise erblühten Priesterstab aus Rom herein auf die Bühne – in der Ewigen Stadt ist Tannhäuser im Opernverlauf gewesen, um den Papst um Vergebung zu bitten, dieser sprach zu Tannhäuser: »Wie dieser Stab in meiner Hand nie mehr sich schmückt mit frischem Grün, kann aus der Hölle heißem Brand Erlösung nimmer dir erblühn.« Pilger: »Den dürren Stab in Priesters Hand hat er geschmückt mit frischem Grün« – das Zeichen, dass Gott Tannhäuser Erlösung gewährte! Die Hoffnung auf Erlösung hat sich erfüllt. Vielleicht ist die Tradition für uns dem Pilgerstab aus Rom gleich; der die Gesellschaft Hoffnung spenden und das gemeinsame Zusammensein wieder erblühen lässt; »blüh im Glanze dieses Glückes,« (Hoffmann von Fallersleben). – Es besteht noch Hoffnung.

Fortsetzung folgt …

S.

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