Der Freytag: Die Dualität der Tage kehrt zurück

Nebel; ich liebe ihn; schöne Nebelfelder habe ich in London und in Schottland gesehen; aber auch der Nebel an der Donau ist wunderschön und magisch mystisch in seinem Anblick. In Dillingen an der Donau durfte ich meinen Wehrdienst leisten; es war im September und ich hatte Glück; es war ein Bilderbuchseptember; täglich um die 25 Grad und fast ausnahmslos blauer Himmel. Die Kaserne lag sehr nah an der Donau und in den Donau-Auen und Wäldern wurde ich gedrillt; trotz all der Anstrengungen war mir die Natur besonders in den Früh- und Morgenstunden wohlgesinnt. Ich sah’, wunderschöne mystische Nebelfelder, zauberhaft wie im Märchenwald und die Donau floss gemächlich, friedlich an mir vorüber; sie ist ein breiter Fluss, aber ein liebenswürdiger; ganz anders als Gevatter Rhein: wild, launisch, nicht ungefährlich.

Wir marschierten in den Morgenstunden; am Ufer der Donau durchtränkte der Nebel das Gebiet, die Sonne schien hinter einer dicken Nebelwand etwas hindurch; das Licht brach sich in den Wassertröpfchen des Nebels; es waren Anblicke jenseits von dieser Welt; die Stimmen von uns waren gedämpft, wie die gesamte Welt um uns herum ebenso schallgedämpft gewesen ist. Und immer wenn ich an der Donau war, fiel mir mein Lieblings-Herbst-Gedicht ein, das ich irgendwann mal in der Schule gelernt habe:

Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.

Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren laß die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gieb ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

Rainer Maria Rilke, Herbsttag, geschrieben im Jahre 1902.

Nun ist es wieder Herbst; in der vergangenen Woche habe ich auch wieder Nebel erlebt; an der Regnitz; morgens ist es noch sehr frisch gewesen; habe mir fast Handschuhe zum Radfahren anziehen wollen; nachmittags auf dem Nachhauseweg das genaue Gegenteil: 25 Grad, blauer Himmel, Sonnenschein – die Dualität des Herbstes; dieser wunderschönen Übergangszeit zwischen den Jahres-Zeiten und ich dachte an diesem Tag wieder an Rilke, an die Bundeswehrzeit und an die Donau. Erinnerungen sind die stillen, kostbaren Schätze, die wir in uns tragen. Herr: es ist Zeit …

Nebel: Herr: es ist Zeit …

Fortsetzung folgt …

S.

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