Buch des Tages: Der Zauberberg (Roman) von Thomas Mann

Ich lese ihn wieder, Thomas Mann – wer weiß schon, wie viel Zeit noch bleibt. Die Gegenwart ist ungehobelt, fast unerträglich; sprachlich durchtränkt von Narrativen, die nur die Frage aufwerfen, ob alle medialen Echokammern wohl den Verstand verloren haben. Die Gegenwart, so unerträglich sie sprachlich ist, macht den Griff zum Zauberberg vielleicht zu einer Flucht – in eine Zeit, die sprachlich noch Hoffnung gibt. Eine Zeit, die zeigt, dass es einst tatsächlich Intellektuelle gab. Im Kreis der Denker, der Humanisten und der Belesenen fühle ich mich wohl – leider finden diese Begegnungen häufig nur im Raum zwischen zwei Buchdeckeln statt.

Das soll keine Abrechnung mit der physischen Welt sein, keine Flucht vor der Realität. Ich mag viele Menschen um mich herum, halte gern ungezwungene Gespräche. Aber – und es gibt immer ein «aber» – in der Gegenwart fehlt mir so viel von der Normalität, die ich einst kaum bemerkte, da sie eben normal war. Jetzt, da sie zur Mangelware geworden ist, sehnt sich mein innerer «Intellektualitäts-Akku» nach ihr.

Sicher, es gibt hier und da kleine Keimzellen, die hoffen lassen. Orte, an denen man meinen könnte, dass ein Aufbruch möglich ist. Doch auch diese Orte werden nach und nach durchzogen von politischen Narrativen, die, wenn man sie hinterfragt, oft auf tönernen Füßen stehen – manchmal, nicht immer. Aber die Erzählung lebt von der Wiederholung, und die Wiederholung ist das, was unser Denken formt.

Und so greife ich wieder zu Thomas Mann. Sprachlich eine Ebene, die mich fordert und mir zumindest das Gefühl gibt, dazuzugehören – zum Kreis der Intellektuellen. Doch eigentlich, und da erinnere ich an meine Zeilen von gestern, ist genau das der Einstiegspunkt zum Irrtum: Wer etwas sein möchte, ist es selten. Wer es ist, dem ist egal, wie die Welt ihn sieht. Denn er ist es einfach. Am Ende, so scheint es, geht es uns allen wie Martin Luther. Sein letzter Satz lautete: «Wir sind Bettler, das ist wahr.» (Als Martin Luther starb, fand man auf seinem Schreibtisch diesen letzten Satz, kurz vor seinem Tod geschrieben.)

S.

PS: Thomas Mann erhielt den Literaturnobelpreis im Jahr 1929. Er wurde für seinen Roman «Buddenbrooks. Verfall einer Familie» ausgezeichnet, der 1901 erschienen war.

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