Der Freytag: «Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin!»

Jeder kennt diesen Satz. Doch keiner aus meiner Generation weiß, was Krieg tatsächlich bedeutet. Wir haben – oder sollte ich besser sagen, hatten? – das große Glück, Krieg nur anhand der Erzählungen unserer Großeltern gedanklich nachzuvollziehen und uns das Bild davon in unseren Köpfen auszumalen. Auch wenn mir damals während meines Grundwehrdienstes bei der Bundeswehr das Schießen auf Zielscheiben einigermaßen Spaß machte – es waren ja nur Pappfiguren –, so möchte ich mir niemals vorstellen, mit einer Waffe auf einen anderen Menschen zielen zu müssen. Ebenso wenig könnte ich am Steuer einer Drohne – entfernt von der Front – per Knopfdruck über Leben und Tod entscheiden.

Es mag sie geben – diejenigen, die den Krieg lieben. Doch jeder normale Mensch möchte eigentlich nur in Frieden mit seiner Familie leben, sein Glück suchen, sich selbst verwirklichen und das Geschenk des Lebens annehmen. Krieg hingegen bedeutet Tod – der völlige Gegenentwurf zum Leben. Seltsamerweise sind es oft gerade jene, die keine Ahnung davon haben, was Krieg tatsächlich bedeutet, die lautstark ins Kriegshorn stoßen. Besonders die Privilegierten, die selbst nie an die Front müssen, sitzen – so stelle ich es mir zumindest vor – mit blutunterlaufenen Augen an ihren Computern und schreiben den Krieg herbei. Ihre Tastaturen glühen, und die kriegstreibende Propaganda fließt scheinbar unaufhaltsam. Kann es sein, dass sich in Deutschland besonders viele Journalisten gegenseitig darin überbieten, den Krieg schmackhaft zu machen?

Freilich schreibt das niemand offen; es ist viel subtiler. Der Feind wird dämonisiert, sodass am Ende doch nur eine Lösung bleibt: der totale Krieg gegen diese Dämonen. Alle Vorgeschichten, alles Menschliche, wird ausgeblendet. Ebenso die Tatsache, dass es für alles auf der Welt immer Alternativen gibt – das wird vollständig negiert. Es gibt nur einen Weg: Krieg. Mit Helmen fing es an; der Widerstand war noch groß. «Es sind ja nur Helme», hieß es. Doch jeder mit Sinn und Verstand – und davon gibt es in dieser ach so intelligenten und elitären Medien- und Politikwelt nicht mehr allzu viele – weiß: Es ist eine Spirale. Es beginnt mit Helmen. Womit es endet? Das ist noch offen. Aber im Moment springt der Taurus durch die Medienlandschaft, und was dieser Stier uns bringen mag, wenn er «endlich», wie viele Kriegstreiber sagen, geliefert wird, das bleibt abzuwarten.

Frei nach dem alten Motto des Wechselwirkungsgesetzes: actio = reactio sollte jedem, selbst den Denkfaulsten, klar sein, dass dieses dritte newtonsche Gesetz auch im gesellschaftlichen Leben seine Gültigkeit besitzt. Was mögen sich all die Politiker denken, die den Taurus so vehement für die Ukraine geliefert sehen wollen? Ich glaube, wenig. In diesen Denkstuben scheint es nicht viel zu geben, außer einem Mangel an Liebe zu den Mitmenschen. Denn wer denken kann, weiß, dass die reactio für Europa schwerwiegende Folgen haben könnte.

Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin – dann kommt der Krieg zu euch! Ich wünschte, dieser Satz stammte von Brecht; dann wäre es einfacher. Aber selbst bei diesem Zitat ist es nicht so simpel, wie es der Schriftsteller gewünscht hätte. Alles ist komplex – auch hier. Taurus oder nicht; Brecht oder nicht; Denken oder Nichtdenken; Feind oder Freund; Dämon oder Heiliger … – Was wähle ich im nächsten Jahr, wenn nach der Ampel-Explosion neu gewählt werden darf? Die Pro-Tauranten? Auch diese Frage ist komplex. Einfache Lösungen gibt es nur in der Schule.

Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin! Ich würde es mir wünschen. Neulich habe ich übrigens eine KI befragt, was geschehen würde, wenn bei der nächsten Bundestagswahl niemand wählen ginge. Die Antwort war sehr interessant. Doch ein solcher Fall wird in der realen Welt wohl nie eintreten – genauso wenig wie der Fall, dass im Kriegsfall niemand hingeht. Es gibt so viele Dinge, die es wahrscheinlich niemals geben wird. Aber die schön wären, wenn es sie doch gäbe. Der Volksmund nennt sie Utopien.

Doch jede Utopie beginnt als etwas Unvorstellbarem. Und jeder Versuch, eine Utopie zu denken, rückt sie ein Stück näher in den Bereich des Möglichen. Eine Utopie könnte die Vision einer friedlichen und gerechten Welt sein. An diesem Gedanken möchte ich mich denkerisch abmühen. Vielleicht bin ich damit nicht allein. Was ist so schlimm daran, sich Frieden zu wünschen?

Es gab viel mehr Utopisten, als wir denken mögen. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) von 1948 ist das Ergebnis der Denkarbeit vieler Utopisten. Auch wenn die AEMR keinen Artikel enthält, der explizit das Wort «Frieden» im Sinne von Abwesenheit von Krieg erwähnt, gibt es Artikel, die implizit auf Frieden und den Schutz vor Gewalt abzielen:

Artikel 1: «Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.» Dieser Artikel fördert das Prinzip der Brüderlichkeit, das Grundlage für ein friedliches Zusammenleben ist.

Artikel 3: «Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.» Schutz vor Gewalt und Bedrohung, die oft Voraussetzung für Frieden sind.

Artikel 28: «Jeder hat Anspruch auf eine soziale und internationale Ordnung, in der die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten voll verwirklicht werden können.» Impliziert die Notwendigkeit einer friedlichen internationalen Ordnung, um die Menschenrechte zu gewährleisten.

Der Begriff Frieden ist zentral in der Charta der Vereinten Nationen (1945), deren Präambel mit den Worten beginnt: «Wir, die Völker der Vereinten Nationen – fest entschlossen, künftige Generationen vor der Geißel des Krieges zu bewahren […]»

Frieden war bis heute immer, mal mehr, mal weniger, eine Utopie. Doch wenn wir nicht versuchen, diese Utopie mit Leben zu füllen, wird es bald kein Leben mehr geben. Wollen wir das? Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin! Aber geht zur nächsten Wahl und zeigt den Tauranten, dass WIR – das VOLK – noch an die Utopie des Friedens glauben: an Frieden unter den Völkern in Europa, an Frieden auf der Welt.

Die Charta der Vereinten Nationen verpflichtet die Politik, ihrem Versprechen treu zu bleiben – dem Versprechen, zum Wohle des Volkes zu handeln.

«Wir, die Völker der Vereinten Nationen – fest entschlossen, künftige Generationen vor der Geißel des Krieges zu bewahren […]»

Sapere aude!

S.

Ein Songtext von mir über Taurus und den restlichen Irrsinn, der uns umgibt:

https://www.ganjingworld.com/de-DE/video/1h7fsq7o62j5UJA7mSoLKbXMt1j11c

 

«Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin!»