Liebe A.,
erinnerst Du Dich noch an unseren Spaziergang in meinem Heimatdorf? Es war ein schöner warmer Sommerabend; wir gingen Arm in Arm verschränkt u. wir sprachen über die vielen Dinge des Lebens. Du in Deiner Position, bist schon immer daran interessiert gewesen, politisch ganz oben mitzumischen, u. das politische Glück war Dir auch stets wohlgesinnt. Obwohl Du dann doch viele Jahre älter bist als ich, suchtest Du – fast kindlich – den Rat bei mir u. obwohl Du Deine Fragen nicht direkt ausformuliertest, wusste ich, dass Du eine Frage auf dem Herzen trugst. Wir liefen, Du an meiner rechten Seite, Arm in Arm verschränkt u. noch bevor wir zu Deinen Fragen kamen, sah ich deine Kindlichkeit in Deinen Augen u. ich stellte Dir eine Frage. Auch meine Frage habe ich Dir nie in einer sprachlichen Form gestellt, vielmehr musst Du es in meinen Gedanken oder in meinen Augen gelesen haben u. Du gabst mir zu verstehen, dass es keine Umkehr, keine Rückkehr für dich gibt, da Du zu lange u. zu tief darin verstrickt gewesen bist.
Ich sehe Dich heute noch neben mir, u. wenn es ein Traum gewesen wäre, unsere Arme so ineinander verschränkt, dann wäre ich sicher an dieser Stelle aufgewacht u. hätte meinen Arm vor dieser Angespanntheit, dieser Verkrampftheit, wieder lockern müssen u. wäre es ein Traum gewesen, ja dann, dann hätte ich ganz sicher die Erinnerung an Dich durch diesen Traum noch tagelang in den Muskeln u. Knochen gespürt. Am Abgrund spaziert, wie gefährlich, die Gefahr war Dir sicher bewusst u. Du gingst dieses Risiko ein, kein Abhalten durch Deine fast kindliche Naivität (?) oder war es Deine Waghalsigkeit gewesen? Seis drum, ich konnte dich nicht mehr daraus befreien, dich herausziehen, Du hast Dich selbst aufgegeben u. ohne Kraft, aber dennoch mit einer Erleichterung im Blick, haben sich unsere Wege trennen müssen.
Manchmal denke ich, an diesen Augenblick zurück, u. ich weiß bis heute nicht, was damals eigentlich geschah. Sicher, ich war auch noch viel mehr mit mir selbst beschäftigt, die Situation war völlig anders, als sie es heute ist u. die Welt, unsere Welten, haben sich in der Zwischenzeit auch sehr stark verändert. Unsere Wege trennten sich, seitdem hatten wir uns nicht mehr auf einen Sommerabendspaziergang verabredet u. ich bin auch relativ ab vom Schuss u. lebe in einer völlig anderen Umgebung, wie Du. Vielleicht hast du zu viel von der, anfangs lieblich, süßen Kost verspeist u. kannst nun nicht mehr von ihr ablassen; vielleicht ist es aber auch Dein Ideal, das Du in Dir trägst, dass Dich einfach weitermachen lässt u. wenn man an Deiner Stelle steht, muss man sicher auch ein Meister im Verdrängen sein, sonst könnte man sicher auch nicht dort stehen, bestehen, wo Du stehst. Bist Du nach wie vor der Meinung, dass es keinen Weg zurück, keine Möglichkeit der Umkehr, für Dich gibt?
Herzlich
S.