Der Freytag: Das 12-Uhr-Läuten vom Bamberger Dom und die Kultivierung von Geduld

Bamberger Dom

Den erhabenen Klang von Kirchenglocken liebe ich seit meiner Kindheit. Besondere Erinnerungen weckt das Samstagmittag-Läuten der Glocken in meinem Heimatdorf; wenn sie erklingen, rieche ich noch heute den Duft vom blauen Litamin-Schaumbad, denn Samstagnachmittag war Badetag. Mit der Zeit reifte die Idee, diese konservierten Klangerinnerungen wieder zu beleben, indem ich das Glockenläuten selbst aufzeichne. Gesagt, getan. Doch wie es im Leben so ist, mehr oder weniger haben alle Dinge einen Haken. Bei mir hakte es bei den Tonaufnahmen. Sie forderten meine Geduld heraus und fast wäre mir der sprichwörtliche Geduldsfaden gerissen.

An einem Samstagnachmittag habe ich den Domberg erklommen. Die Videokamera war schnell aufgebaut und pünktlich um 11:58 Uhr drückte ich die roten Aufnahmeknöpfe. Der Platz war gut gewählt, das Videobild war hervorragend; nur der Ton war zu stark von Störgeräuschen überlagert – das Aufnahmeergebnis wanderte in den Papierkorb. – Dass an einem Samstag zur Mittagszeit so viele Autos und Busse über den Domplatz fahren würden, war für mich erstaunlich – die Abrollgeräusche der Reifen auf dem alten Kopfsteinpflaster überlagerten alles, was die Glocken von sich gaben.

Etwas enttäuscht, aber guten Mutes ging ich zwei Tage später noch ein Mal hoch zum Dom. Diesmal nahm ich nur den Ton auf und kein Videobild – zumindest hatte ich dies vor. Clever, wie ich war, postierte ich mich auf der Rückseite vom Dom, um die Reifengeräusche zu vermeiden. Jedoch verirrten sich an diesem Tag die Touristen und deren Kinder riefen ganz laut: »Echo!« – Ein Echo hallte nicht zurück, aber es zementierte sich auf meinem Aufnahmegerät – auch dieser Tonmitschnitt wanderte in den Papierkorb.

Ein paar Tage später ging ich erneut hoch zum Dom. Es war Sonntag. Ich dachte, ich wäre heute cleverer; denn sonntags um 12 sind alle zu Hause beim Sonntagsbraten und ich sollte relativ alleine beim Dom stehen. Nur relativ ist ein dehnbarer Begriff. Als ich um die Kurve auf dem Domplatz um das alte Sandsteingemäuer der Residenz herum bog, sah ich den kompletten Platz voller abgestellter Autos – bei diesem Anblick schwand meine Hoffnung und ich sah mich noch weitere Male hoch zum Dom pilgern. – So war es dann auch; diesmal wuselten die Passanten aus allen Himmelsrichtungen kommend herum und unterhielten sich lauthals – auch diese Aufnahme wanderte in den Papierkorb.

Es folgten noch vier weitere Bußgäng; immer mit der Frage im Hinterkopf: Was jetzt noch alles dazwischenkommt und wird es mir gelingen, eine brauchbare Aufnahme zu erstellen? Es kam ein Gärtner aus dem Pfarrhaus gebogen. Er lief – Gott sei Dank – stumm an mir vorüber; ich war erleichtert; leider zu früh gefreut. Um Punkt 12 kam er, der stumme Gärtner aus einer Seitenstraße mit einem kleinen Gärtnertraktor nebst Anhänger angeknattert. Da das Knattern vom Trecker scheinbar noch nicht reichen sollte, polterten zwei Metalleimer lose auf der Ladefläche des Anhängers herum. Was soll ich sagen: Auch diese Aufnahme wanderte in den Papierkorb.

Bei der weiteren Odyssee folgten Taxis vorm Dom, deren Dieselmotoren die Aufnahmen störte; dicht gefolgt vom Regen, der lautstark in den Regenrinnen zu Boden stürzte und so weiter und so fort. Aber dann folgte der Tag der Tage. Es war so weit. Meine Geduld wurde belohnt – mir gelang meine Aufnahme. Aber was war diesmal anders? Am Aufnahmetag sprach ich zu mir selbst: Egal was für Störquellen es heute geben wird, diese Aufnahme ist meine Letzte vom Domgeläut; egal, was passiert, sie wird verwendet. Völlig egal, wie viele Touristen unterwegs sein werden, ob sie wispern oder schreien, ob Panzer oder Traktoren herumpoltern, dieser Tonmitschnitt ist der finale. Erstaunlich. Es herrschte fast Stille an diesem besagten Tag. Kaum Störquellen und die Aufnahme gelang.- Ich hoffe jetzt nur, dass die nächsten Kirchen mir etwas wohliger gesonnen sind. Das Ergebnis dieser Odyssee ist auf meinem Gan Jing World Kanal veröffentlicht. Hier der Link: https://www.ganjing.com/de-DE/video/1fnnqkhhr7q47FvJnlMgaCJxT16j1c (Link kopieren und im Browser einfügen; kein klickbarer Link).

Ich ende mit dem Sonntagsanblick, den vielen Autos auf dem Domplatz. Jetzt kann ich herzhaft über all die kleinen und großen Hindernisse lachen. Die Aufnahme des 12-Uhr-Läutens half mir, mich in Geduld zu üben. »Geduld ist die Tugend der Glücklichen.« (Baruch de Spinoza – 1632 – 1677, eigentlich Benedictus d’Espinoza, holländischer Philosoph. Baruch = Schüler des Propheten Jeremias)

Fortsetzung folgt …

S.

Der Freytag: DerFreytag.de

Domplatz – sonntags ein Parkplatz?

  One Reply to “Der Freytag: Das 12-Uhr-Läuten vom Bamberger Dom und die Kultivierung von Geduld”

Comments are closed.