Der Freytag: Über Männer, Trennungsschmerz und über das Loslassen

Es ist Freitag; es sitzt sich angenehm in meinem Stamm-Kaffeehaus auf meinem Lieblingsplatz; dieser war heute ausnahmsweise noch frei, als ich kam. Es ist keine Interruption in Sicht, die mich aus meinem geistigen Müßiggang entreißen könnte; auch die Touristen sind noch in weiter Ferne; die wie sonst üblich, das Kaffeehaus erstürmen und belagern. Im Moment herrscht Kaffeehausstille und sogar die Kellner sind freundlich gestimmt. Die Sonne scheint. Mein Kaffee ist noch heiß und ich gieße soeben die Milch in den Kaffee und beobachte, ganz in Gedanken versunken, wie sich die Milch unter den schwarzen, dickflüssig schimmernden Kaffee hebt und seine Dunkelheit aufbricht. Titel: Der alte Mann und sein Kaffee – aber Moment mal, ich bin ja nicht Ernest Hemingway.

Hemingway soll gesagt haben: »Ich trinke, um andere Menschen interessanter zu machen.« Manchmal hat’s schon die Krux mit den lieben Mitmenschen. Neulich war wieder so ein Tag. Meine Liste war übervoll mit Erledigungen. Um Land zu sehen, habe ich diesmal richtig gutes Zeitmanagement praktiziert. – Aber was nutzt die beste Planung, wenn ständig etwas dazwischen kommt. Kaum hatte ich damit begonnen, die Liste abzuarbeiten, klingelte das Telefon – ein »überwichtiger« Anruf, der niemals via E-Mail hätte geklärt werden können … Es folgten noch weitere »wichtige« Anrufe. Ich blieb ruhig, ging nach dem Telefonansturm Kaffee holen und dachte bei mir: Seltsam, mich ruft sonst keiner an – im Normalfall werden 99 Prozent aller Dinge hier via E-Mail erledigt und organisiert; was ist nur heute los? Kaum hingesetzt, den ersten Schluck vom Kaffee getrunken, ich war gerade im Begriff, mich meiner Liste zuzuwenden, klingelt erneut das Telefon; ein Anrufer aus England – er hatte sich verwählt; er wolle einen Professor soundso von der Uni sprechen. – Den Namen hatte ich noch nie gehört. Im UnivIS fand ich keinen Eintrag – man ist ja schließlich bemüht, ruhig und hilfsbereit zu bleiben. Nach seinem dritten Anruf endete unsere kleines britisches Tête-à-Tête; er muss bemerkt haben, dass ich nicht der gesuchte Prof. bin. – Gut, zurück zur Liste, dachte ich mir.

Das Telefon war ab jetzt wie Tod und es herrschte Stille; aber nur für kurze Zeit. Gerade war ich wieder dabei, die Liste vor mir hinzulegen, um sie zu bearbeiten, da klopfte es an meiner Bürotür. Ein Kollege kam herein und erzählte mir – ungefragt – von seinem letzten 14-tägigen Urlaub: Seinem Strandurlaub … Nach zwei weiteren Kaffees wusste ich über jedes Urlaubsdetail Bescheid; besonders, was es im All-inclusive-Hotel früh, mittags und abends für Speisen gab. – Ich dachte an Hemingway … Die Zeit verging und es war Mittag. Ein weiterer Kollege kam zu mir ins Büro – kurz nachdem der Strandurlauber mein Büro wieder verlassen hatte – und fragte nach, ob wir gemeinsam zum Mittagessen gehen könnten; er würde gern’ etwas mit mir besprechen und er bräuchte dringend einen persönlichen Ratschlag von mir. Gut. Man ist ja immer ruhig und hilfsbereit und wir gingen gemeinsam essen. Einen Ratschlag und zwei weitere Kaffees später sitze ich wieder im Büro. Die Liste lag noch unbearbeitet vor mir am Platz. Ich fing das gefühlte tausendste Mal mit der Liste an. Jetzt sah ich eine E-Mail von einem weiteren Kollegen am Bildschirm aufpoppen; er wolle nur eine »Kleinigkeit« von mir wissen. Sie wuchs während der Bearbeitung rasant auf Quasi-Projekt-Status an und sie beschäftigte mich noch den gesamten restlichen Tag inklusive zwei weitere Arbeitstage. Meine Liste auf meinem Schreibtisch war in der Zwischenzeit wie die Zeitung von letzter Woche: nur noch zum Einwickeln von Fisch gut – veraltet.

Nachdem ich diese »Kleinigkeit« – getarnt im Projektgewand – nach Tagen abgearbeitet hatte und ich endlich das »Projektende« hätte feiern können, ging ich nach Hause und war nur noch genervt, enttäuscht. Enttäuscht darüber, dass die gesamte Listen-Planung für die Katz gewesen ist. Ich dachte: Nie wieder Listen! Häufig, wenn ich genervt bin, reißt’s mich und ich muss was mit meinen Händen machen: Spüle dann sehr häufig das restliche Geschirr ab; diesmal war leider bereits alles komplett gespült. Ich ging ins Schlafzimmer; öffnete meinen Kleiderschrank; der Hosenstapel stach mir ins Auge. Ich erinnerte mich an die letzte Aussage meiner Ehefrau. Sie war der Meinung, dass wir keine neuen Hosen kaufen, bevor ich nicht die Alten aussortiert habe; der Schrank sei übervoll; kein Platz mehr für neue Hosen. Sie hatte recht; ich erkannte im Hosenstapel meine Liste mit den »To-do-Punkten« wieder. Eine Hose nach der anderen zog ich aus dem Stapel, prüfte, ob sie noch passt und teilte meinen Hosenstapel in zwei neue Stapel auf: Passt noch, wird behalten und fliegt raus. Erstaunlich, ich hatte wirklich sehr viele Hosen – ein paar davon waren mindestens 15 Jahre alt und sie passten natürlich nicht mehr. Je mehr ich aussortierte, umso sonniger wurde mein Gemüt. Das Loslassen ist ein herrliches Gefühl, dachte ich mir.

Der Fliegt-raus-Stapel landete in der Altkleidersammlung und im Schrank wurde richtig viel Platz frei. Eine Trennung von diesen alten, ballastigen Dingen aus der Vergangenheit fällt schwer; ich glaube, das ist ein Männer-Ding. Nicht weiter sagen. Neulich habe ich mir eine neue Hose gegönnt; eine dunkelbraune Cordhose; sie passt perfekt, ich habe sie schon in mein Herz geschlossen und so schnell werde ich mich von ihr nicht mehr freiwillig trennen. Jetzt vor Frühlingsbeginn ist genau die richtige Zeit, um Platz für Neues zu schaffen; um auszumisten: Ramadama. Ich denke wieder an Hemingway: Ob er mit seinen Hosen besser zurechtgekommen ist als mit seinen Mitmenschen? – Mal ganz rein nüchtern betrachtet.

Fortsetzung folgt …

S.

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