Der Freytag: Zwischen den Jahren im Revolutions-Kaffeehaus oder 2024 jährt sich zum 500. Male der Deutsche Bauernkrieg.

»Die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr – in manchen Teilen Deutschlands auch die Zeit zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag – werden bereits seit dem 14. Jahrhundert als: zwischen den Jahren bezeichnet.«, berichtet Michel voller Stolz; er hebt die Brust, er sitzt aufrecht und strahlt. Immer wenn er Wissen preisgegeben kann, benimmt er sich wie ein altkluges Kind in der Schule, das den Erwachsenen die Welt erklärt. Und Gabriel kommt sich dabei wie der Opa vor, der das Kind gefälligst zu loben hat. Er sitzt im Kaffeehaus und muss – aus Höflichkeit – Michel zuhören; hat jedoch überhaupt keine Lust, ihm zu applaudieren. Gabriel sitzt nur da; blicke durch das große Kaffeehausfenster und beobachte die Welt, die ihm seltsam erscheint; wie aus dem Hier-und-Jetzt gerückt. Gegenüber auf der andern Straßenseite wird noch immer heißer Glühwein ausgeschenkt; die Menschenmassen am Glühweinstand verblüffen beide; Michel blickt hinüber und lässt abfällig die Bemerkung fallen: »Wie Schafe an der Tränke!« Er fiebert auf dem 8.1.24 hin; er will und wie er sagt, wollen das auch viele andere, dass sich etwas verändert; verhindert wird, dass unser Land völlig den Bach runtergeht und er spricht voller Überzeugung: »Dann knallt’s; die Ampel muss weg.«

Für Gabriel fühlt sich derzeit alles unwirklich an; Michel spricht weiter, was 2024 alles noch geschehen soll. Gabriel kann nur noch halbherzig zuhören; schaut durch das große Fenster vom Kaffeehaus nach draußen und sieht all die vielen Menschen – an seinem kleinen Schaufenster zur Welt – vorüberziehen und er spricht in Gedanken versunken vor sich hin: »Was wissen wir schon von der Welt!« Michel holt ihn zurück; er fordert seine Aufmerksamkeit erneut ein: »Der Deutscher Bauernkrieg – die Revolution des gemeinen Mannes – begann 1524 in weiten Teilen Thüringens, Sachsens und im süddeutschen Raum; speziell in Franken, Tirol und in der Schweiz; also vor genau 500 Jahren brach schon einmal die Revolte der Bauern aus und riss alle mit. Das ist mehr als nur ein Zeichen. Die Aufstände begannen in Nürnberg, Mühlhausen und in Würzburg und es kann kein Zufall sein, dass wir beide jetzt in diesem damaligen Aufstandsgebiet wohnen: Das ist Schicksal.«

Eigentlich hatte Gabriel vor heute in aller Ruhe die Zeitungen vom Kaffeehaus zu lesen; so zu tun, als sei es früher; als alles noch entspannter gewesen ist; als die Polarisierung noch nicht so weit vorgeschritten war; als es noch möglich war, unterschiedlicher Meinung zu sein und man sich trotzdem verstand; als man das Gefühl hatte, die Politik weiß, was sie tut; die Blattlinien waren noch klar erkennbar; wenn man den SPIEGEL, die ZEIT oder die SZ las, war noch klar, was einem erwartet. Gabriel trauert leise dieser Zeit hinterher; er vermisst das Miteinander: diese Zeiten scheinen endgültig zu verblassen; die Fronten verhärten sich mehr und mehr und die Ohren werden tauber und tauber. Jetzt ist Gabriel ungewollt Teilnehmer – Zuhörer – einer Prerevolutionsrede und leise spricht er in Gedanken zu sich selbst: »Wie komm’ ich jetzt aus dieser Nummer wieder raus? Wäre ich doch nur in das andere Kaffee gegangen; so wie ich es eigentlich auch vor hatte; weiß der Kuckuck, was mich jetzt in dieses ›Revolutions-Kaffeehaus‹ verschlug.«

Fortsetzung folgt …

S.

Der Freytag: DerFreytag.de