Das Café ist überfüllt; das Schreiben kann ich heute vergessen: zu laut, zu voll und die Stimmung ist zu explosiv. Überall dreht es sich um die derzeitigen Proteste der Bauern. Ich höre in die Menge und vernehme stenografisch das Zeitgeschehen: Die Landwirte haben Paris umzingelt, die Autobahnen sind blockiert; hunderte, wenn nicht sogar tausende Traktoren legen den Verkehr lahm; östlich von Paris, auf der Autobahn A4 sind alle sechs Fahrspuren blockiert – Paris wird belagert; die französischen Bauern haben begonnen, auf den Straßen rings um Paris Gräben auszuheben und auf den Autobahnen Brände zu legen. In Frankreich merkt die Regierung, dass mit ihren Landwirten nicht zu spaßen ist. – Ich bin erstaunt, was die Otto-Normal-Kaffeehaus-Gänger alles an Wissen über die derzeitigen Proteste in sich tragen.
Vom selben Tisch höre ich: Es kocht nicht nur in Frankreich; in der BRD herrscht ebenso Kampfstimmung. Anthony Robert Lee, Bundessprecher Landwirtschaft verbindet Deutschland e. V. meint: Der Kampf hat erst begonnen. In vielen Städten Deutschlands zeigen die Bauern klare Kante und protestieren. Blockaden gab es in der letzten Woche auf unzähligen Autobahnauffahrten, der komplette Hamburger-Hafen war dicht; Großlager wurden blockiert und in allen großen deutschen Großstädten fanden Protestaktionen statt. Für den 9.2.24 sind weiter Mahnwachen in Deutschland geplant; die Anzahl ist gigantisch – im ganzen Land herrscht Kampfstimmung und es sind jetzt nicht nur die Bauern, die auf die Straße gehen, immer mehr Berufsgruppen schließen sich an; der gesamte Mittelstand ist mobilisiert und demonstriert mit.
Ein neuer Gast betritt das Café; er nimmt am Nachbartisch Platz und berichtet: Derzeit tagt das EU-Parlament in Brüssel und die Bauern belagern soeben das Parlamentsgebäude; sie entfachen Feuer und zeigen den EU-Kommissaren deutlich, dass das Maß voll ist. Ein anderer Gast liest laut vor, wann und wo die nächsten Staffelfahrten in Deutschland mit Kundgebungen der Bauern stattfinden: 1.2. Erfurt, 14 Uhr / 2.2. München, 14 Uhr / 3.2. Stuttgart, 14 Uhr / 4.2. Saarbrücken, 14 Uhr / 5.2. Mainz, 14 Uhr / 5.2. Wiesbaden, 18 Uhr / 6.2. Düsseldorf, 14 Uhr / 7.2. Hannover, 14 Uhr.
Ich denke still: Wenn das alles so weiter läuft, dann ist Ende Juni das Jahr gelaufen. Jetzt ist gerade mal Anfang Februar und ich kann mich nicht erinnern, eine Zeit wie diese je erlebt zu haben; es brodelt, es kocht, es knirscht fast überall. Die Wirtschaft stockt; die Inflation steigt; der Unmut auf die Regierungen wächst tagtäglich und die Medien – ja die Medien, die sind ein Fall für sich – tragen nicht dazu bei, dass sich die Lage normalisiert; aber vielleicht ist das aktuell auch unmöglich, egal, wie sich die Medien verhalten. Am 11.1.24 schrieb ich im Der Freytag: Die Revolution und das Ende der zweiten Biedermeier-Zeit den Schlusssatz: »Vielleicht schreibe ich bald eine Kolumne mit dem Titel: Taxi nach Paris.« Das Taxi wird zum Traktor; denn aktuell haben sich in Paris alle Taxifahrer den Bauernprotesten angeschlossen und mir scheint, das, was in Frankreich geschieht, schwappt auf Europa über, somit auch auf Deutschland. Ein Sinnbild für diese Zeit, der Trecker von mir (siehe Foto). Kenner verstehen den Kontext, erklären mag ich es nicht, ihr seht ja selbst, was war und was kommt, das werden wir bald sehen.
Fortsetzung folgt …
S.
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