Der Freytag: »Jeder Mensch« – »Lafayette, we are here.«

»Lafayette, we are here.« Der Abschlusssatz im Büchlein »Jeder Mensch« von Ferdinand von Schirach; er zählt zum Kreise meiner Lieblingsautoren und es liegt Monate zurück, als ich seinen Essay zum ersten Mal las. Jetzt habe ich ihn noch einmal für die Kolumne gelesen; ein smartes Buch, ein kleines und zugleich auch ein dünnes Buch: Ein gutes Buch, das jeder Denker – jeder fühlende Mensch – gelesen haben sollte.

In der letzten Kolumne haben wir über Menschenrechte, über die Kommunistische Partei Chinas und über die seit 25 Jahren andauernden Verfolgung von Falun Dafa Praktizierenden in China gesprochen; ich habe auf die Pressemitteilung vom Falun Dafa Informationszentrum verwiesen und ein Zitat von Bertolt Brecht bemüht: »Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht!«, um zu verdeutlichen, dass Handlungsbedarf besteht. (https://www.ganjingworld.com/de-DE/news/1gtjbp725uh6R9ycIgiQ4cWWc16j1c). – Für Menschenrechte gibt es keine Pausenzeiten, sie sind überall und zu jeder Zeit gültig; wer Mensch sein will, der achtet sie.

Die Allgemeinen Menschenrechte, bekannt als die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) (https://www.ohchr.org/en/human-rights/universal-declaration/translations/german-deutsch?LangID=ger), wurden am 10. Dezember 1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet. Die Versammlung fand im Palais de Chaillot in Paris statt. Die Erklärung besteht aus einer Präambel und 30 Artikeln, die grundlegende Rechte und Freiheiten festlegen, die allen Menschen ohne Diskriminierung zustehen.

Das Buch »Jeder Mensch« ist ein Plädoyer für neue, grundlegende Menschenrechte. In diesem Essay formuliert Schirach sechs neue Grundrechte, die seiner Meinung nach in die Europäische Union aufgenommen werden sollten. Der Autor denkt eine Utopie. Wie sollen wir mit seinen Gedanken umgehen? – Wir sind als Menschheit bis heute nicht in der Lage, die 1948 verfassten Allgemeinen Menschenrechte weltweit umzusetzen; warum sollten wir über eine weitere Formulierung über eine Ergänzung nachdenken? Wäre es nicht besser, zuerst unsere Energie zu bündeln, um diese Kraft dafür zu nutzen, dass weltweit die bereits formulierten und allgemein anerkannten 30 Artikel Anwendung finden – also auch in China unter der Führung der KPCh nicht nur auf dem Papier existieren?

Einerseits finden wir im Essay von Schirach das Recht auf die digitale Selbstbestimmung – dieser Punkt ist natürlich 1948 noch kein Thema gewesen; Twitter (X), Facebook, Google und Co lagen noch in weiter Ferne. Der Verfasser sieht seinen Entwurf vielmehr als eine angepasste Erweiterung der bereits bestehenden Menschenrechte in einer modernen Welt von heute.

»Lafayette, we are here.« Am 4. Juli 1917 stand der amerikanische General John J. Pershing mit seinen Truppen während des Ersten Weltkriegs am Grab von Marquis de Lafayette auf dem Picpus-Friedhof (Cimetière de Picpus) in Paris und sprach diesen Satz. Seine Geste war eine symbolische Anerkennung der Hilfe, die Lafayette während des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges den Amerikanern geleistet hatte, und diente als Ausdruck der Dankbarkeit und Verbundenheit zwischen Frankreich und den Vereinigten Staaten, insbesondere in einem Moment, in dem die USA in den Ersten Weltkrieg eingetreten waren, um Frankreich zu unterstützen.

Am 10. Dezember 1948 stimmten in der Generalversammlung der Vereinten Nationen 48 Mitgliedstaaten für diese Menschenrechtserklärung, 8 Staaten enthielten sich der Stimme und keiner stimmte dagegen.

Dafür stimmten:

  • Vereinigte Staaten
  • Vereinigtes Königreich
  • Frankreich
  • China
  • Sowjetunion (heute in mehrere Staaten aufgeteilt)
  • Kanada
  • Australien
  • Indien
  • Südafrika (damals unter der Apartheidregierung)
  • viele weitere Staaten aus Europa, Asien, Afrika und Lateinamerika

Auch China stimmte dafür. Wäre es heute nicht ein Zeichen, wenn jeder von uns vor eine chinesische Botschaft ginge oder vor ein chinesisches Konsulat und als Zeichen für die Einhaltung, Wahrung und für den Respekt gegenüber der Menschenrechtscharta rufen würde: »Lafayette, we are here.«? Wahrscheinlich trifft jeder von uns einen Falun Dafa Praktizierenden vor der Botschaft oder vor dem Konsulat weltweit. Die Praktizierenden leisten seit 25 Jahren den stillen Protest und erinnern an die 1999 begonnene Verfolgung in China. Die rufen nicht: »Lafayette, we are here.« Sie sitzen still in Meditation, zeigen die Übungen und sprechen mit den Passanten über Menschenrechte und über die Situation on China.

So wie der Marquis de Lafayette, der französische Aristokrat und Militärführer, der eine bedeutende Rolle im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg spielte, so spielt jeder von uns heute eine Rolle, egal, ob groß oder klein, im Kampf Gut gegen Böse – wer die Menschenrechte nicht einhält, Menschen verfolgt, foltert und tötet, der steht nicht auf der Seite vom Guten.

Marquis de Lafayette kämpfte für die Unabhängigkeit der amerikanischen Kolonien von der britischen Herrschaft; Lafayette trat auf der Seite der amerikanischen Revolutionäre ein und unterstützte sie im Kampf gegen das britische Empire. Ein Kämpfer für die Freiheit und letztendlich ein Kämpfer für die Menschenrechte, lange bevor es die Menschenrechtscharta gab. Er ginge heute sicher mit uns vor eine der zahlreichen Auslandsvertretungen der Chinesen und würde laut mit rufen: Wir sind hier! Und wir erinnern die kommunistische Führung Chinas an ihre damals geleistete Zustimmung für die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte; China hat seine Zustimmung nie offiziell widerrufen.

Und jetzt alle: »Lafayette, we are here!«

S.

Der Freytag: DerFreytag.de

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Link zu: Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte: https://www.ohchr.org/en/human-rights/universal-declaration/translations/german-deutsch?LangID=ger

Auszug:

Artikel 1

Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen.

Artikel 2

Jeder hat Anspruch auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand.

Des weiteren darf kein Unterschied gemacht werden auf Grund der politischen, rechtlichen oder internationalen Stellung des Landes oder Gebiets, dem eine Person angehört, gleichgültig ob dieses unabhängig ist, unter Treuhandschaft steht, keine Selbstregierung besitzt oder sonst in seiner Souveränität eingeschränkt ist.

Artikel 3

Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.

Artikel 4

Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden; Sklaverei und Sklavenhandel sind in allen ihren Formen verboten.

Artikel 5

Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.