Der Freytag: Alle Jahre wieder schreibe ich Weihnachtskarten

«I’m the piano player, down at Eddies‘ bar / And Rachel she’s the waitress who want to be a star / She swears she’s gonna make it, make it big someday / And she’ll send me picture postcards from L.A. // Ich bin der Pianist unten in Eddies Bar, / und Rachel, sie ist die Kellnerin, die ein Star werden will. / Sie schwört, dass sie es eines Tages ganz groß schaffen wird, / und sie wird mir Ansichtskarten aus L.A. schicken.»

So beginnt der Song Picture Postcards from L.A., ein Lied von Joshua Kadison aus dem Jahr 1993. Alle Jahre wieder schreibe ich Weihnachtskarten an Freunde, Bekannte und Menschen, die meiner Frau und mir wichtig sind. Diese kleine Aufmerksamkeit in Form von handgeschriebenen Weihnachtskarten soll zeigen, dass wir an sie denken, sie schätzen und mögen. Jedes Jahr, wenn ich diese Karten schreibe – es ist schon zu einem Ritual geworden – reinige ich meinen Montblanc-Füller, ziehe den Kolben mit frischer Tinte auf und schreibe die Karten, während eine Kerze neben mir brennt und mein Arbeitszimmer im vorweihnachtlichen Glanz erstrahlt.

Picture Postcards from L.A. begleitet mich schon seit 1993, dem Jahr seiner Veröffentlichung. Es gibt nur wenige Songs, die mich über die Jahre hinweg begleiten und mehr vermitteln als nur ihren Text. Diese Lieder sind mit einem Gefühl verknüpft, einer Stimmung, die alte Erinnerungen wachruft und sie mit neuen bereichert. «Send me postcards from L.A. signed with love forevermore / Picture postcards from L.A. to hang on my refrigerator door // Schick mir Postkarten aus L.A., unterschrieben mit Liebe für immer. / Ansichtskarten aus L.A., um sie an meine Kühlschranktür zu hängen.» Hier schwingt so viel Melancholie mit – Wünsche für die Zukunft, die Sehnsucht nach Liebe und danach, geliebt zu werden. Die Melodie des Songs trägt dazu bei, in melancholischen Gedanken an vergangene Tage zu schwelgen. Weihnachten ist auch eine Zeit, um innezuhalten, zurückzublicken und nachzudenken.

Wir leben derzeit in einer Welt, wie ich sie in dieser Art noch nie zuvor erlebt habe. Oft denke ich über die Gegenwart nach, doch es gelingt mir nur teilweise, sie gedanklich so zu erfassen, dass sich das Gesamtbild in Worte fassen ließe – momentan gelingt mir das nur ansatzweise. Auch das Schreiben im Allgemeinen, sei es von Lyrik oder dieser Kolumnen, ist derzeit alles andere als planbar. Zu viele Themen überschlagen sich regelrecht. Ein Tohuwabohu, wohin man auch blickt. Doch es gibt auch die andere Seite: Frieden, Idylle, Ruhe, Gleichgewicht – und Harmonie.

In diesem Jahr haben meine Frau und ich an Gesangskursen teilgenommen. Beim Singen im Chor, in der Gruppe, stellt sich bei mir relativ schnell ein Gefühl von Harmonie und Freude ein. In den letzten Wochen haben wir an Samstagabenden verschiedene Veranstaltungen besucht, bei denen wir mit vielen – teils fremden – Menschen gemeinsam im Chor sangen. Am vergangenen Samstag sangen wir: «Wir sagen euch an den lieben Advent» (https://open.spotify.com/intl-de/track/7ecY721m2ngmkdB0bih4mK?si=fd88b756d51d4136), und ich war zutiefst innerlich bewegt von diesem gemeinsamen Singen. In diesem Moment, voller Verbundenheit, dachte ich: Wenn die Menschen wieder mehr miteinander und gemeinsam singen würden, hätten wir viele Probleme auf dieser Welt nicht. Ob sich Kriege dann über Wochen, Monate oder gar Jahre hinweg halten könnten, wage ich stark zu bezweifeln. – Also: Schaltet das Lied: «Wir sagen euch an den lieben Advent» (https://open.spotify.com/intl-de/track/7ecY721m2ngmkdB0bih4mK?si=fd88b756d51d4136) ein und singt mit. Den Text findet ihr hier: https://www.erzbistum-koeln.de/export/sites/ebkportal/seelsorge_und_glaube/lebensphase-alter/.content/.galleries/Altenheimseelsorge_Downloads/WirsageneuchandenliebenAdventText.pdf

Jetzt ist Weihnachtszeit. Die Zeit der Familie. Die Zeit, in der wir uns an warme Kamine kuscheln und die Nähe zu unseren Liebsten suchen. Bald werden meine Weihnachtskarten bei den Menschen eintreffen, die uns am Herzen liegen. Der Pianist in Eddie’s Bar wartet noch immer auf Rachels Ansichtskarten aus L.A. So heißt es fast am Ende des Songs: «She’ll even buy a ticket and pack her things to leave / Though we all know the story we pretend that we believe / But something always comes up, something always makes her stay / And still no picture postcards from L.A. // Sie kauft sogar ein Ticket und packt ihre Sachen, um aufzubrechen, / obwohl wir alle die Geschichte kennen und so tun, als würden wir ihr glauben. / Doch immer kommt etwas dazwischen, immer gibt es etwas, das sie hält. / Und noch immer keine Ansichtskarten aus L.A.»

Vielleicht hat sich Rachel zu ihrem Pianisten an den Kamin gekuschelt und träumt von einer gemeinsamen Zukunft mit ihm. Der Song lässt auch im Jahr 2024 die Melancholie zum Jahresende aufleben. Wir alle sind doch nur Reisende im Leben und sehnen uns nach einem wärmenden Platz am Kamin, den wir mit unseren Liebsten teilen möchten. Ich wünsche euch allen eine fröhliche und besinnliche Weihnachtszeit – einen Platz am Kamin mit euren Liebsten. Und falls ihr dann mit euren Herzensmenschen beisammen seid, könnt ihr gerne meine Playlist anschalten. Ihr findet dort viele Lyriken von mir vertont – denn ab und an bin ich auch der Tondichter: https://www.ganjingworld.com/s/4ZB7jmQ07O

Sapere aude!

S.

PS: Link zum Song «Picture Postcards from L.A.»: https://open.spotify.com/intl-de/track/4MNSdVgRmPVraQ1eqNoVg2?si=6dcbd0c882ca4ec2