Götterdämmerungen in Europa

Staatsoberhäupter legen ihre Ämter nieder und es bebt auf dem politischen Parkett in Europa ganz gewaltig.

Manche wollen, dürfen aber nicht – manche müssen, mögen aber nicht. Wie jüngst aus Italien zu hören war: Ministerpräsident Draghi kündigt seinen Rücktritt an, aber Staatspräsident Mattarella lehnte diesen ab. In Estland trat die Chefin des Landes Kaja Kallas zurück; sie durfte. Seltsamerweise erhielt sie kurz nach ihrem Rücktritt erneut den Auftrag, wieder eine „neue“ Regierung zu bilden – ob das allerdings nochmal was werden wird, ist fraglich. Über Frankreich hörte man, dass nach dem schlechten Wahlergebnis Macron die Regierung neu aufstellen möchte; jedoch lehnte Macron in diesem Kontext im gleichen Atemzug den Rücktritt von Premierministerin Borne ab – auch hier ein ähnliches Bild wie in Italien. Auf der Insel dämmert es ebenso; Boris Johnson stimmte seinen Rücktritt als britischer Premierminister zu – das Passiv verrät hier alles; er musste, wollte aber nicht. Nachdem sich eine offene Revolte gegen ihn formierte, blieb ihm nichts anderes übrig und so musste er gehen. Aber er wird sein Amt final erst im Herbst abgeben – also ein Rücktritt mit Zeitverzögerung. Der ehemaliger russische Präsident Medwedew kommentierte sarkastisch dieses europäische politische Allerlei mit der Frage: Wer wird der Nächste sein? – Zugegeben, diese Frage stellt sich in der Tat. Man möchte fast an Deutschland denken, denn auch hier dämmert es bereits am Horizont. Vielleicht mag es noch keine ausgewachsene finale Dämmerung sein, noch weniger mag es eine Götterdämmerung sein, aber zumindest bebt es politisch derzeit kräftig im Euroland. Erst Corona, dann der Krieg in der Ukraine, jetzt noch die wachsende Inflation und die Folgeerscheinungen aufgrund der Lockdowns sind ebenso noch nicht auskuriert, zeichnen sich erneut am Horizont die nächsten Corona-Maßnahmen für den kommenden Herbst ab – Europa und die Welt befinden sich im Dauerstress und Stess macht, zumindest auf Dauer, krank. Es kränkelt und all dies scheint auch im politischen Parkett tiefe Spuren zu hinterlassen. Die deutsche Lyrikerin Anke Maggauer-Kirsche meint: „Wenn ich gehe bleibe ich noch ein bißchen.“ Mag dies wohl auch für unserer Politiker in Europa gelten? – Wie es scheint: Ja. Was uns die Zukunft bringen mag, wissen wir nicht, wir können nur spekulieren und vielleicht hat Karl Valentin doch recht: „Die Zukunft war früher auch besser.“

S. Noir