Der Freytag: The Day After – im Kaffeehaus brennt (noch) Licht – der Taurus wurde (noch) abgewehrt

KI-Bild: The Day After

Die Welt steht still; mein Kopf schweigt; plötzlich das große Aufatmen: Im Parlament ist der »Taurus-Antrag« gescheitert – im Bundestag hat sich erneut eine Mehrheit gegen »Taurus«-Lieferungen an die Ukraine ausgesprochen und bei dieser aktuellen Meldung der Tagesschau mag man als normaldenkender und -fühlender Mensch noch hinzugefügt: Gott sei Dank! »Eine deutliche Mehrheit der Abgeordneten sprach sich aber gegen diese Form der militärischen Unterstützung aus.«, so der Tagesschau-Artikel weiter. Konkret in Zahlen heißt das: »Insgesamt stimmten 687 Parlamentarier über den Antrag ab. Davon votierten 494 Abgeordnete gegen die Lieferungen, 188 sprachen sich dafür aus. Fünf Abgeordnete enthielten sich.«

Ob die Welt – die deutsche Welt – jetzt gänzlich aufatmen kann, ist noch offen. In der Zwischenzeit mag man fast denken, dass es nichts gibt, was nicht möglich ist. Wo sind nur all die erfahrenen, vernünftigen und die friedensstiftenden Diplomaten geblieben? Scheinbar sind alle gemeinsam ausgewandert und verbringen gemeinsam ihre Tage auf einer warmen Insel in der Südsee, fernab der realen Weltpolitik – im Land herrscht völlige Leere. Nur eine neue Mutter Courage à la Bertolt Brecht reist von einer Talk-Show zur nächsten und wirbt fleißig – wie ihr Pendant im Stück von Brecht – für Krieg.

Das Kaffeehaus ist leer; mein Vorrat an Empathie und Verständnis für die elitäre politische Klasse, für deren Anhänger, für all die Kriegstreiber sinkt immer weiter, und die Frage, was aus diesem einstigen Land der Dichter und Denker wurde, entzieht sicht immer mehr einer rationalen Wirklichkeit; es kann nur der Wahnsinn sein, der im Land sein Unwesen treibt. Das Land der Dichter und Denker wurde wieder ein Mal mit einem Fingerschnipsen zum Land der Richter und Henker und wieder wollen alle beweisen, dass sie in allem Tun die Besten sind – man nennt es wohl die deutsche Gründlichkeit und ich kann schon langsam den Namen Heinrich nicht mehr lesen, wenn ich schreibe: Es erinnert an Heinrich Manns Werk der Untertan. – So oft wie heuer – 2024 – habe ich Heinrich Mann in meinem ganzen Leben zuvor nicht zitieren müssen. Aber gut; ruhig Blut; der Taurus zog vorüber; wer weiß, was noch kommt. Im Moment scheint etwas Ruhe eingekehrt zu sein.

The Day After; ich habe den Film noch vor Augen. 1983 erschienen und in den 90ern habe ich ihn auch zum ersten Mal gesehen, und es sind dramatische Filmminuten, die zeigen, wie fatal ein Atomkrieg für unsere Menschheit sein wird. Heute, viele Jahre nach dem Film, schwingt diese atomare zerstörerische Schlagkraft erneut wie ein grosses Damoklesschwert über aller unserer Köpfe, und zurzeit schwingt es bedrohlicher denn je; Gedanken an die Kubakrise keimen wieder auf. Der »Westen« treibt sein Spiel weiter; der »Osten« erwähnt das Unaussprechliche; wir befinden uns (noch) im Raum der theoretischen Möglichkeiten und wenn kein diplomatisches Einlenken stattfindet, wird die Frage nach dem Einsatz von A-Waffen immer realer; der Finger rückt näher an den sogenannten roten Knopf. Keiner – oder nur sehr wenige – der westlichen intellektuellen »Eliten« ergreift das Wort und warnt vor dem, was sich auf uns zu bewegt; keiner hat die Courage NEIN und HALT zu rufen. Ich vermute, es liegt daran, dass die Bedrohung zu abstrakt zu unmöglich erscheint, obwohl bereits darüber gesprochen und nachgedacht wird.

Im Gegensatz zu einer abstrakten Möglichkeit; Zahlen und Fakten ernüchtern. Der Teufel steckt wie immer im Detail. Habt ihr schon mal den Namen: RS 28 gehört? Nein! Ich meine jetzt keinen Audi; das ist eine russische Interkontinentalrakete. Nur eine davon kann Deutschland komplett in Schutt und Asche zerlegen – pulverisieren; ihre max. Reichweite beträgt 18.000 km; sie ist 35 m lang; 208 Tonnen schwer; ihre Fluggeschwindigkeit beträgt 25.500 km/h, sie ist die schnellste Interkontinentalrakete der Welt. Von Moskau aus abgefeuert benötigt sie 4,5 Minuten bis Deutschland; sie transportiert 10-15 Atomsprengköpfe. Die meisten Raketenabwehrsysteme versagen bei dieser RS 28; die Atomsprengköpfe können versetzt über Deutschland abgeworfen werden und die totale Vernichtung herbeiführen – dann haben wir wieder den tiefen Herzenswunsch erfüllt: den totalen Krieg – herzlichen Glückwunsch! Nach nur 5 Minuten nach dem Start kann diese eine RS 28 alles Leben in Deutschland auslöschen, komplett.

Der Kelch »Taurus« zog an uns vorüber; vorerst. Russland spricht langsam und leise, aber immer deutlicher vom möglichen Einsatz von A-Waffen. Wir können dieses Spiel – das den Status eines Spiels schon vor langem überschritt – weiter treiben; wenn der Knopf gedrückt wurde, dann wird es nicht nur eine RS 28 sein, die sich erhebt; aber dann ist es eh egal; dann könnt ihr noch schnell eine rauchen gehen, eine gute Flasche Wein öffnen – ganz leeren werdet ihr sie nicht mehr können, vorher zünden die Atomsprengköpfe: Wollen wir das? – Diese Rakete besitz übrigens den NATO-Codenamen SS-X-30 Satan 2.

Fortsetzung folgt … (davon gehe ich jetzt mal aus; denn es scheint ja doch noch einen Restfunken von Vernunft zu geben in der Welt; hoffen wir, dass dieser Funke das Feuer von Vernunft und Frieden in den Herzen und Köpfen aller entfacht).

S.

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