Vom 13. bis 19. Januar 2025 gastiert die internationale Kunstausstellung: «Die Kunst von Zhen Shan Ren» in der Karlshalle in Ansbach (Details siehe Foto). Ich möchte euch alle ermutigen, diese Ausstellung zu besuchen. Im vergangenen Jahr waren die Gemälde in Coburg zu sehen, und ich hatte die Ehre, die Eröffnungsrede zu halten. Meine damaligen Gedanken und Worte möchte ich heute nutzen, um eure eigenen Überlegungen anzuregen und euch Lust auf den Besuch dieser beeindruckenden Ausstellung zu machen.
Lyrik, Sprache – Bildsprache und Malerei
oder
Lyrik und Visionen: Sprachformen und
Gedanken über Vollständigkeit
PROLOG
Ich wurde gebeten, darüber zu sprechen, wie die Idee für die Aufführung der Kunstausstellung in Coburg entstanden ist. Die Erklärung ist ganz einfach: Es war eine Vision. Visionen sind mir seit dem Beginn meiner lyrischen Arbeit vertraut. Um den Begriff Vision zu verdeutlichen, möchte ich ein Gedicht von mir vorstellen – als Beispiel und Ausdruck einer meiner Visionen. Dieses Gedicht entstand 2010, als ich in Bonn an meinem damaligen Schreibtisch saß. Wie aus dem Nichts überkamen mich diese Zeilen. Seitdem habe ich viele weitere Gedichte und lyrische Werke verfasst.
Im Raum des Nebels
Der Mensch der irrt in diesem Raum umher.
Die Sicht getrübt im Nebel, alles fällt ihm schwer.
Alle frönen der Lust und der Gier.
Die Grundsätze umgekehrt, aller Schmutz ist jetzt hier.
Er ist auf der Suche nach dem Frieden im Herzen.
Die schlechten Wesen über sie scherzen.
Ein jeder Schritt entscheidet, ob Freud oder Leid.
Die alte Heimat vergessen, bald kommt die Zeit.
Der Kosmos verändert sich schnell.
Wo früher Dunkelheit wirds schlagartig hell.
Der Himmel wird rein der neue Kosmos erwacht.
Der Schöpfer den Kosmos berichtigt, sein Werk ist vollbracht.
Eine weitere Vision war diese Kunstausstellung. Nach einem Besuch in Coburg, als ich auf dem Marktplatz stand, wurde sie geboren. Helmut Schmidt sagte einst: «Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen!» Ich jedoch ging nicht zum Arzt, sondern kontaktierte den Organisator dieser Ausstellung – und die Vision wurde zur Realität. Jetzt stehen wir hier – nicht im Raum des Nebels, sondern in Coburg. Ich spreche keinen Prolog im Himmel, wie in Goethes Faust I, sondern stimme uns auf die Ausstellung ein.
Apropos Faust I: Goethe sagte einmal, «Die Kunst ist eine Vermittlerin des Unaussprechlichen.» Goethe selbst war ein großer Lyriker, ein Dichter des deutschen Geistes, der Dichterfürst. Nun möchte ich mit den folgenden Zeilen ein paar Gedanken von mir über Lyrik, Malerei und die Verbindungen zwischen ihnen mit euch teilen.
REDE
Vor etwas mehr als 13 Jahren begann ich zu malen. Farben, Pinsel, Leinwände – meine Ausrüstung wuchs schnell. Aquarell, Acryl, Öl, Pastell, Kohle, Tusche, Rötel … ich probierte alle möglichen Techniken aus. Besonders die Aquarell-, Acryl- und Ölmalerei gefielen mir sehr, ebenso das schnelle Skizzieren mit Kugelschreiber und Bleistift, das mich besonders faszinierte.
Nur wenige Wochen später begann ich, Lyrik zu schreiben. Auch das Schreiben trat, wie aus dem Nichts kommend, völlig unverhofft in mein Leben – ausgelöst durch eine Vision, die zu einem Gedicht wurde: Im Raum des Nebels, das ich vorhin vorgetragen habe.
Heute, nach vielen bemalten Leinwänden und unzähligen lyrischen Zeilen, dominiert die Lyrik die Welt meiner Gedankentransformation. Am Anfang jedes künstlerischen Schaffens steht ein Gedanke, eine Idee, eine Vision – oft nur vage im Inneren und unsichtbar für die Außenwelt. Der Prozess der Transformation ist der Schaffensprozess des Künstlers, des Schöpfers, dessen Werke sein Inneres widerspiegeln und seine Gedankenwelt visualisieren.
Malen und Schreiben – beides sind Formen des Ausdrucks. Die Hand führt die Handlung aus und transformiert den Gedanken auf Papier, Leinwand oder einen anderen Malgrund. Lyrik ist Sprache. Doch Sprache ist nie vollständig; sie lässt oft Raum – einen undefinierten Spielraum für Interpretation. Unzählige Bücher widmen sich der Interpretation von Gedichten.
Die Malerei steht für sich selbst; sie ist in sich hinreichend. Gemälde sind abgeschlossene Gedankenwelten, vollständig und eigenständig. Jede zusätzliche Erklärung würde den geistig transformierten Wirkhorizont unnötig einschränken. Die Sprache der Malerei ist universell und wird nur durch die Grenzen des kosmischen Raums in ihrer Wirkung und Verständlichkeit begrenzt.
Die Sprache, ob gesprochen oder geschrieben, ist für sich lokal an die Menschen gebunden, die sie sprechen und verstehen können. Selbst unser Deutsch – als gemeinsamer Sprachraum – ist zusätzlich durch seine Vielzahl an unterschiedlichen Dialekten stark fragmentiert, sodass der Verständlichkeitsraum durch diese Dialekt-Fragmentation zusätzlich eingeschränkt ist.
Sprache hat im Laufe der Geschichte viele Veränderungen durchlaufen; kaum jemand kann heute noch das Deutsch verstehen, das im 16. Jahrhundert gesprochen wurde. Die Gemälde aus derselben Zeit hingegen sind nach wie vor verständlich. Zeitlos und unverändert zeigen sie die Visualisierungen der damaligen Künstler und präsentieren unumstößlich das fertige Ergebnis ihres Schaffens.
Seit ich vor über 13 Jahren mit dem Malen begonnen habe, habe ich viele Museen weltweit besucht und mir besonders gerne die alten Meisterwerke ganz genau angesehen. Leonardo da Vinci, Lucas Cranach der Ältere, Albrecht Dürer und Raffael – um nur einige Namen aus der alten Zeit zu nennen – begeistern mich noch heute, wenn ich ihre vollendeten Kunstwerke betrachte.
Ihre Sprache ist nach wie vor universell – zeitlos. In den Jahren 2014 und 2015 war ich erstmals Besucher der internationalen Kunstausstellung Die Kunst von Zhen Shan Ren (Wahrhaftigkeit, Güte, Nachsicht). Diese Werke zogen mich ebenso in ihren Bann wie die Meisterwerke von da Vinci und Cranach.
Zwar handelt es sich bei den heute ausgestellten Werken um zeitgenössische Kunst, doch ich bin mir sicher, dass auch diese in 100, 200 oder 300 Jahren in die Reihe der alten Meister aufgenommen werden. Xiaoping Chen mit dem Werk In Harmonie – eines meiner Lieblingswerke dieser Ausstellung – wird dann neben Namen wie Cranach genannt werden.
EPILOG
Ich könnte jetzt noch tausend Worte sprechen und würde dennoch niemals die Ausdruckskraft erreichen, die diese Gemälde in der Ausstellung besitzen. Ich wünsche uns allen einen schönen Abend und viele inspirierende Eindrücke. Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit!
Sapere aude!
S.