Lyrik: Eigentlich – ein Lied in Moll

In einem Land, nicht allzu fern,
da hatte man Humor nicht gern.
Ein Witz zur falschen Zeit – oh je!
Dann hieß es: „Auf Wiederseh’n!“
Paragraf zwei-zwei-null,
der traf dich schnell und voll.
Und wer da was sagte,
der bald nicht mehr lachte –
eigentlich war das normal.

Eigentlich… wär’s schön gewesen.
Eigentlich… war alles klar.
Eigentlich… doch leider war’s nur scheinbar wahr.
Ei-ei-ei – eigentlich!

Dann kam das Netz, ganz wunderbar,
mit Likes und Herzchen – sonderbar!
Die Welt so schön, so aufpoliert,
ein bisschen echt, doch oft frisiert.
Was nicht gefällt, wird ignoriert,
und Wahrheit zart dekoriert.
Was kümmert mich das ganze Leid?
So fern, so still, zu jeder Zeit –
eigentlich ganz bequem.

Eigentlich… wär’s schön gewesen.
Eigentlich… war’s nicht so schlimm.
Eigentlich… sieht’s freundlich aus im Algorithm’n.
Ei-ei-ei – eigentlich!

Die Meinung wuchs wie ein kleines Kind,
doch nun wirft jeder schnell mit Wind.
Aus zarten Sätzen wurden Mauern,
aus Argumenten schrille Schauern.
Denn meine Meinung – die ist richtig!
Und alle anderen – die sind nichtig!
Diskurs war gestern, Streit ist heut’,
und jeder glaubt, er sei erneut –
der Einzige mit Durchblick!

Eigentlich… war’s gut gemeinet.
Eigentlich… mit Herz und Stil.
Eigentlich… ist Meinung wie ein Kinderspiel.
Ei-ei-ei – eigentlich!

Zweimal ein Krieg, das war fatal,
und keiner war es auf einmal mal.
„Ich hab doch nichts gewusst, mein Kind!“
So schnell vergeht Erinnerung im Wind.
Die Tore öffnet – Bestürzung groß,
doch keiner war’s… ganz famos.
Verantwortung? – war nie modern.
Man blieb sich selbst stets wohlgefährn.
Eigentlich schade drum.

Eigentlich… war alles anders.
Eigentlich… hat’s keiner getan.
Eigentlich… fühlt jeder sich als Unschuldsmann.
Ei-ei-ei – eigentlich!

Dann kam die Mauer, kam der Staat,
der Nachbar schrieb, was keiner tat.
Ein Spitzel hier, ein IM da –
die Freiheit war nicht sonderbar.
Man diente brav, dem roten Ziel,
und fragte lieber nicht zu viel.
Wer dachte, wurde schnell ein Fall,
für’s Archiv – ganz offiziell.
Eigentlich – das war der Plan.

Eigentlich… war’s nur Geschichte.
Eigentlich… so lange her.
Eigentlich… doch irgendwie auch gar nicht sehr.
Ei-ei-ei – eigentlich!

Krieg ist kein Spiel, kein Heldenspaß,
und doch kommt er – ganz ohne Maß.
Was fern war, rückt uns heute nah,
so still, so schleichend – plötzlich da.
Europa friert, die Zeit ist schwer,
doch keiner fragt, warum und wer.
Man schaut weg, scrollt sich vorbei –
und hofft, es geht vorüber.

Eigentlich… wär’s Zeit zum Fragen.
Eigentlich… zum Widerspruch.
Eigentlich… wär’n wir doch klüger – laut dem Buch.
Ei-ei-ei… eigentlich…

Manchmal ist „eigentlich“ das Wort vorm Ende –
doch manchmal auch der erste Schritt zur Wende.
Eigentlich… vielleicht… beginnt was neu.

S. Noir