Ostern und die Suche nach Erlösung: ein philosophisches Essay

Ostern ist mit das älteste und auch das höchste Fest der Christen: Der wichtigste Feiertag ist der Ostersonntag. Dieser Hochtag im Kirchenjahr beendet die 50 Tage andauernde Fastenzeit. Er ist gleichzeitig Auftakt der nun beginnenden und 50 Tage anhaltenden Osterzeit – sie wird mit dem Pfingstfest enden. Am Ostersonntag wird der Wiederauferstehung von Jesus Christus gedacht – am dritten Tage …, nachdem er am Karfreitag am Kreuz verstarb. Diese Auferstehung gilt als Zeichen der Hoffnung.

Das erste Konzil – Versammlung von Bischöfen und Geistlichen zur Erörterung und Entscheidungsfindung von kirchlichen Fragestellungen – von Nicäa wurde von Konstantin I. im Jahre 325 n. Chr. in Nicäa bei Byzantion einberufen und es entschied, dass der Ostersonntag stets am ersten Sonntag nach dem ersten Vollmond nach Frühlingsanfang zu feiern ist; somit ergab sich der frühestmögliche Termin mit dem 22. März und der spätmöglichste mit dem 25. April. Im diesem Jahr 2022 fällt dieser Tag auf den 17. April – also findet das Osterfest heuer ziemlich spät statt.

Ostern und die Eier

Der Ostersonntag steht historisch gesehen eng in Verbindung mit dem Essen. Im Altertum wurde Lammfleisch zur Weihe unter die Altäre gelegt, um es an diesem Tag als erste Speise zu verkosten. Ab dem 12. Jahrhundert wurden nachweislich Eier geweiht und ab dem 13. Jahrhundert wurden erstmalig bemalte Ostereier erwähnt. Wir kennen diese bunten Eier auch heute noch. Zur Osterzeit sind sie in Geschäften vorzufinden und viele Familien gehen diesem alten Brauch auch heute immer noch nach und färben mit ihren Kindern gemeinsam die Ostereier.

Ostern im sakralen Kontext: Die Suche

Tod, Auferstehung, Hoffnung und Erlösung, sie liegen zur Osterzeit alle gemeinsam sehr nah beieinander – sie berühren sich. Im normalen Alltagsleben denken die meisten sicher nicht über diesen gewichtigen philosophischen Gedanken nach; aber an Tagen wie dem Ostersonntag tritt diese urzeitliche spirituelle Frage aus ihrem nebligen und normalen Schattendasein. Gut möglich, dass die Suche nach Erlösung sehr eng in Verbindung steht mit der Suche nach dem Sinn – dem Sinn des Seins.

Bei viele Menschen beginnt sie wahrscheinlich, nachdem sie sich in einem Zustand von Not im Leben wiederfanden. Es gibt viele Arten von Not – Leid: Krankheit, Trauer, Verlust, sie sind so mannigfaltig wie die Sterne im Universum. Glückseligkeit, dieser Zustand, ist im Leben gar allzu oft sehr kurzweilig – flüchtig; so wie sich die Jahreszeiten in der Natur ständig verändern, so reichen sich abwechselnd Freud und Leid gegenseitig die Hand. Die Suche nach Erlösung, vielleicht einem Durchbrechen dieses – ewigen? – Kreislaufes, findet nicht nur aus dem Zustand des Leidens heraus statt, auch viele Philosophen und Intellektuelle befanden sich bereits auf der Suche nach ihr.

Erlösung: Ein großer Gedanke?

Erlösung, ein großes Wort oder doch nur eine Begrifflichkeit? Aus sakraler Sicht kann das Wort Erlösung durchaus auch als Befreiung verstanden werden und in diesem Kontext stellt sich die Frage nach dem WO: Also ob sie im Diesseits oder ausschließlich im Jenseitigen erfolgen kann? Ferner schwingt auch gleichzeitig die Frage nach dem WIE mit: Erlösung durch die eigene Kraft mittels einer Lehre oder durch die Gnade eines göttlichen Erlösers?

Im östlichen Kulturkreis wird dieses Heilsziel sehr häufig so verstanden, dass der einzelne Mensch durch das Befolgen eines Gebotes oder Weges (im Osten Fa oder Tao genannt) nur für sich selbst die Erlösung erlangen kann. Bei uns im Westen wird diese Art von Erlösung mehr als ein übernatürlicher Vorgang verstanden, der durch die aktive Handlung Gottes erfolgt. Weiterhin klingt auch das WAS bei diesem Gedanken mit: Die Erlösung der Welt in ihrer Gesamtheit – ihrer Schöpfung – oder die des einzelnen Gläubigen?

Viele alte Wege – spirituellen Wege – liegen uns Menschen zu Füssen – sie stehen für uns bereit; aber dies muss nicht gleich bedeuten, dass wir ihnen auch begegnen werden; im Östlichen wird oft davon gesprochen, dass nicht der Schüler nach dem Meister sucht, sondern der Meister nach seinem Schüler – ein Meister vertritt meistens einen Weg, das Tao.

Wir Westler haben in der Regel unsere Schwierigkeiten mit diesen Begrifflichkeiten, da wir sie im Kontext nicht richtig zu deuten verstehen. Wenn wir an Meister denken, haben wir häufig einen Meister aus dem Handwerk im Sinn; aber diese Art von Meister hat in diesem Zusammenhang- dem spirituellen – keinerlei Ähnlichkeit mit dem Meister, den ich hier – mit dem Tao in Verbindung stehend – erwähne. Bleiben wir beim Östlichen.

Im Chinesischen gibt es einen alten Spruch: Meister für einen Tag, Vater für ein Leben. Dieser grob übersetze alte Satz beschreibt, wie dieses Verhältnis zwischen einem spirituellen Meister und seinem Schüler im östlichen Kulturkreis zu verstehen ist – es beschreibt die tiefgründige und enge Beziehung zwischen dem Gelehrten und seinem Schüler und zeigt die große Verantwortung des Lehrers gegenüber seinem Schüler.

Leider ist auch der asiatischen Raum nicht von den modernen Strömungen der Neuzeit verschont geblieben und die Kulturrevolution hat besonders in China viel an altem Wissen für immer zerstört. Dennoch gelang es, ein paar alten Wegen zu überleben und dieses Wissen steht uns nach wie vor zur Verfügung: Es liegt vor unseren Füßen. Es geht im Östlichen sehr häufig darum, dass sich der Schüler durch seine Selbstverbesserung – Kultivierung – im Verhalten, Denken im Leben und durch das Angleichen an das von seinem Meister überlieferten Gebots – den spirituellen Prinzipien – selbst zu einem besseren Menschen kultiviert.

Die Parallelen zwischen Ost und West sind, wenn man sich etwas tiefer mit dieser Thematik befasst, durchaus vorhanden und auch erkennbar. In der Bergpredigt sprach Jesus von: Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere hin! Das mag für weniger spirituelle Menschen ein unvorstellbarer Gedanke sein, aber vom Kern her spiegelt dieser Ansatz sich auch in vielen östlichen Kultivierungsschulen wieder. Im Asiatischen wird oft von der Nachsicht gesprochen; sie zu üben – sie zu praktizieren – ist ein wesentlicher Bestandteil vieler Kultivierungsschulen; auch wenn in vielen buddhistischen Schulen sehr stark auf die Barmherzigkeit geachtet wird und in den taoistischen Schulen die Wahrhaftigkeit kultiviert wird, so ist die Nachsicht eine universelle Komponente, die alle Schulen betrifft.

Wir Menschen sind nicht vollkommen, wir Menschen machen Fehler. In diesen ganz speziellen Zeiten sind wir Menschen gefordert. Wäre es nicht wünschenswert, wenn wir alle miteinander etwas wohlwollender – nachsichtiger – umgehen könnten? Der Gedanke, anderen Menschen gegenüber nachsichtig zu sein und eine wohlwollende Haltung einzunehmen, könnte im Leben von uns allen viele Dinge erleichtern. Wenn wir das schaffen, dann sind wir auf dem Weg, die Nachsicht zu kultivieren – wir würden uns an dieser Tugend angleichen, uns nach ihr kultivieren. In den östlichen Schulen spricht man davon, dass durch diese Angleichung – Kultivierung – der Schüler die Erlösung erreichen kann – oft wird in diesem Kontext auch von der Erleuchtung gesprochen. In diesem Sinne wünsche ich uns allen ein strahlendes, leuchtendes Osterfest.